Den Wald vor lauter Bäumen …
(Herbst 2023)
ca. 250 Seiten, gebunden, Lesebändchen
EUR 24,00
Oskar, der im Süden Europas eine Autobahnbaustelle leitet, kämpft in einer fremden Welt aus unbekannten Regeln und mafiösen Verstrickungen gegen drohende Rückschläge. Nur schwer findet er sich in dieser Auseinandersetzung zurecht, nicht zuletzt deshalb, weil sich das Jugendstilhotel in einem Alpental, Kindheitsgefängnis für den Bruder und ihn, nicht abschütteln lässt. Der autoritäre Großvater drängt sich über seinen Tod hinaus in die Köpfe jener, die er zu Lebzeiten tyrannisch unterworfen hat.
Wie in einem Wimmelbuch erscheinen, jede Chronologie missachtend, Figuren auf der Bühne des Grandhotels und im Alltag des Erzählers, verbunden durch seine Erinnerungen und Gedanken. Welche der Geschichten sind erlebt und welche Einbildung? Hat sich Rudolf Buchbinder im Talschluss auf eine Konzertreise vorbereitet und Camilla Nylund in der Abgeschiedenheit ihre Stimme kuriert? Und zu welchem Ergebnis gelangen die soziometeorologischen Studien eines Schweizer Linguisten, falls diese tatsächlich jemals durchgeführt wurden?
Oskar?
David?
Warum überrascht uns beide nach seinem Anruf mit der Nachricht vom Tod unseres Vaters,
dem Bruder gegenüberzustehen?
Jahre haben wir uns nicht gesehen,
keiner hat den anderen vermisst oder jemals versucht, das zu ändern.
David kennt immerhin meinen Beruf, ich weiß nicht einmal, wovon er lebt,
nachdem das Hotel offenbar schon lange geschlossen hat.
ISBN-13: 978-3-99029-589-2
Rezensionen
Der eine ist ein hochbegabter Musiker. Der andere baut Autobahnen und gerät in mafiöse Verstrickungen. Es ist die Geschichte zweier ungleicher Brüder, die Günther Freitag in seinem jüngsten Buch „Den Wald vor lauter Bäumen …“ zwischen Realität und Fiktion, zwischen Süditalien und einem Grandhotel in den Alpen aufspannt. Wie er das tut ist kurzweilig und turbulent, verwirrend, verrückt und nicht chronologisch erzählt, ein sich immer schneller drehendes „Gedankenkarussell“, wie der Autor sagt. Welche Geschichten davon erlebt und welche eingebildet sind, ist eigentlich egal – der Lesespaß zählt.
(Übrigens: Am 6. Februar, 19 Uhr, lesen der Steirer Günther Freitag und der Kärntner Egyd Gstättner im Literaturhaus Graz.)
Günther Freitag. Den Wald vor lauter Bäumen … Wieser Verlag. 250 Seiten, 24 Euro
Günther Freitag: „Den Wald vor lauter Bäumen …“
An der Schwelle zwischen Realität und Fiktion bewegt sich der Roman des gebürtig aus Feldkirch stammenden Autors Günther Freitag mit dem Titel „Den Wald vor lauter Bäumen …“ Dem bekannten Sprichwort entsprechend sehen die Figuren des Buches mehr als nur einmal den Wald vor lauter Bäumen nicht, wenn sich die nicht abzuschüttelnde, eigene Vergangenheit mit einer fremden Welt voller unbekannter Regeln tangiert. Zum einen ist da der Protagonist Oskar, der im Süden Europas eine Baustelle leitet und mitten hinein in mafiöse Verstrickungen gerät. In diesem Zwiespalt gefangen, trifft er als Alter Ego seine traumatische Kindheit wieder. Ein autoritärer Großvater, ein Gefängnis im Jugendstilhotel sowie die (geistige) Wiederbegegnung mit seinem vermissten Bruder bringen alles aus den Fugen und spuken in seinem Kopf wie ein nicht loszuwerdender Geist herum. Was ist real, was erfunden? Die Verstrickung von Erinnerung, Eingebung und aktuellem Erleben in diesem chronologischen Chaos hievt auch für Leser:innen die Frage empor, welche Geschichten letztlich aus welchen Sphären entspringen. Einem Wimmelbild entsprechend, macht dieser literarische Clou der Vermischung unterschiedlicher Orte, Zeit-, Handlungs- und Gedankenebenen die fast schon banal anmutende Story zum verschachtelten Lesehorrortrip. Die Besonderheit: Sobald man einen Anknüpfungspunkt gefunden hat, entzieht er sich wieder. Das haltlose, nicht stoppen wollende Gedankenkarussell macht einen wirr, aber die Lektüre zum fesselnden Erlebnis.
Günther Freitag: Den Wald vor lauter Bäumen … Wieser Verlag, Klagenfurt 2023, 250 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-99029-589-2, € 24,95
Berichte
Woche Steiermark, Dezember 2023
Günther Freitag: Ein Gedankenkarussell auf 250 Seiten
„Den Wald vor lauter Bäumen…“: So lautet der Titel des neuen Buches von Günther Freitag, das im Wieser Verlag erschienen ist.
LEOBEN. Das lange Warten hat sich gelohnt: Der Leobener Autor Günther Freitag hat im Wieser Verlag ein neues Buch veröffentlicht – der Titel „Den Wald vor lauter Bäumen“. Die Lektüre wird zu einem fesselnden Erlebnis, es gilt allerdings ein nicht enden wollendes Gedankenkarussell zwischen Realität und Fiktion zu entwirren.
Um Schuld und Versagens-Ängste dreht sich Günther Freitags neuer Roman, in dem er ein höchst ungleiches Brüderpaar vor den Vorhang holt.
Erinnerungspuzzle eines Scheiternden
Oskar, der im Süden Europa eine Autobahnbaustelle leitet, kämpft in einer fremden Welt aus unbekannten Regeln und mafiösen Verstrickungen gegen drohende Rückschläge. Nur schwer findet er sich in dieser Auseinandersetzung zurecht, nicht zuletzt deshalb, weil sich das Jugendstilhotel in einem Alpental, Kindheitsgefängnis für den Bruder und ihn, nicht abschütteln lässt. Der autoritäre Großvater drängt sich über seinen Tod hinaus in die Köpfe jener, die er zu Lebzeiten tyrannisch unterworfen hat.
Fluchtbewegung aus der Realität
Dubiose Vorgänge auf der Baustelle, tief am Stiefelabsatz Italiens gelegen, flößen dem Protagonisten Oskar Angst ein und bringen seine Erinnerungen in Gang. „In einer Art Wimmelbuch-Roman sollen Figuren und Erinnerungssplitter auftauchen, ohne den Zwang jeglicher zeitlich linearen Abfolge“, so Freitag im Interview mit dem Radiosender Ö1.
Günther Freitags Bücher sind keine belehrenden Lebensweisheiten, sie eröffnen aber eine Fluchtbewegung aus der düsteren Realität, angesichts aktueller Kriege und politischer Auseinandersetzungen.
Die Vielfalt der Kunst
Glücklicherweise werde in Österreich Kunst nicht ausschließlich nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilt, ist Freitag überzeugt: „Der Staat lässt sich die Kunst etwas kosten, ihre Vielfalt ist ihm etwas wert. Das ermöglicht beispielsweise in der Literatur eine Vielfalt, die auch nicht so bekannten Autorinnen und Autorinnen die Möglichkeit zur Publikation ihrer Werke gibt. Ohne die wirklich gut funktionierende Förderung wäre das in dieser Form nicht möglich.“
Buchtipp
Günther Freitag: „Den Wald vor lauter Bäumen…“
Dem bekannten Sprichwort entsprechend sehen die Figuren des Buches mehr als nur einmal den Wald vor lauter Bäumen nicht, wenn sich die nicht abzuschüttelnde, eigene Vergangenheit mit einer fremden Welt voller unbekannter Regeln tangiert.
Wieser Verlag, 250 Seiten, 24,00 €
ISBN: 978-3-99029-589-2
Bacons Schatten
ca. 280 Seiten, gebunden, Lesebändchen
EUR 21,00
Ein Paar, wie es unterschiedlicher kaum sein könnte: ein Maler, der nicht länger malt, weil seine Bilder wie Francis-Bacon-Kopien wirken, und eine junge Bankerin am Anfang ihrer Laufbahn. Wie sollte ich einer karrieresüchtigen Fondsmanagerin klarmachen, dass ich nicht malte, weil mir nach wenigen Pinselstrichen Bacon in die Quere kam. Dann kroch er in meinen Kopf und führte die Hand. Zwei Lebensentwürfe treffen aufeinander, denen jede Schnittmenge fehlt.
Erzählt wird die Anatomie einer Trennung, auch von erfolglosen Versuchen, den Bruch wenn schon nicht zu verhindern, so doch hinauszuzögern, ist die Rede. Während Marie von einem raschen Aufstieg träumt, schwankt das Roman-Ich im Kreis skurriler Figuren zwischen Apathie und Selbstmitleid. Ob die alte Klavierlehrerin, die bis zu ihrem Unfall als Wunderkind galt und trotz ihrer Krüppelhand die Revolutionsetüde perfekt spielt, den Anstoß zu einem Neubeginn gibt
Rezensionen
Neuer Roman von Günther Freitag
Zwei Jahre nach „Mahlers Taktstock“ erscheint im Oktober im Wieser Verlag der neue Roman des Leobener Schriftstellers und Kulturpreisträgers Günther Freitag. „Bacons Schatten“ handelt von einem Paar, wie es unterschiedlicher kaum sein könnte: ein Maler, der nicht länger malt, weil seine Bilder wie Francis-Bacon-Kopien wirken, und eine junge Bankerin am Anfang ihrer Laufbahn. Wie sollte ich einer karrieresüchtigen Fondsmanagerin klarmachen, dass ich nicht malte, weil mir nach wenigen Pinselstrichen Bacon in die Quere kam. Dann kroch er in meinen Kopf und führte die Hand. Zwei Lebensentwürfe treffen aufeinander, denen jede Schnittmenge fehlt. Erzählt wird die Anatomie einer Trennung, auch von erfolglosen Versuchen, den Bruch, wenn schon nicht zu verhindern, so doch hinauszuzögern, ist die Rede.
Die Anatomie einer Trennung
Ein Paar, wie es unterschiedlicher kaum sein könnte: ein Maler, der nicht länger malt, weil seine Bilder wie Francis-Bacon-Kopien wirken, und eine junge Bankerin am Beginn ihrer Laufbahn. Zwei Lebensentwürfe treffen aufeinander, denen jegliche Schnittmenge fehlt. Der Leobener Günther Freitag erzählt in seinem 15. Buch von der Anatomie einer Trennung. Günther Freitag: Bacons Schatten Wieser Verlag, 280 S., € 21,00 WG
Berichte
Mahlers Taktstock
(August 2019)
Konrad bricht wegen dieser Anfälle, für die es keine medizinische Erklärung gibt, ein Klavierstudium ab und will die Dirigentenlaufbahn einschlagen. Als schwarzes Schaf der Familie vertieft er sich mit der Besessenheit des Außenseiters in die Sinfonien Gustav Mahlers und scheitert, weil er sich immer stärker aus der Realität in eine Scheinwelt zurückzieht, sowohl in Wien als auch in Berlin. Das können weder seine Tante, vom Vater als Häkelkünstlerin verspottet, noch ein entlassener Hauswart der Musikhochschule verhindern, der ihm jenen Taktstock Gustav Mahlers besorgen will, den Alban Berg aus dem Künstlerzimmer des Dirigenten entwendet hat.
Als er wegen seines Niesens alle Klavierschüler verliert, muss er sich nach einer Beschäftigung abseits der Musik umsehen.
Obwohl niemand in der Familie darunter litt oder gelitten hatte, wie ich am Schluss mühsamer Nachforschungen herausfand, quälten mich Allergien, die überfallsartig Sturzbäche klebriger Tränen über meine Lider strömen ließen und den Brustkorb in nicht enden wollenden Niesattacken erschütterten.
Gebundenes Buch mit Lesenbändchen: 200 Seiten
Verlag: Wieser Verlag
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe
ISBN-13: 978-3-99029-357-7
Rezensionen
Günther Freitag: Mahlers Taktstock
Von einem, der auszog, das Gruseln zu lehren… Konrad möchte gerne Dirigent werden. (Eigentlich wollte er Pianist werden, aber er ist Allergiker, und seine häufigen Niesattacken bewogen ihn dazu umzusatteln.) Zu Beginn des Romans treffen wir ihn, wie er gerade von Wien nach Berlin umgezogen ist, um an der Berliner Universität seine entsprechende Ausbildung weiter zu führen. Wir begleiten ihn auf seinen Streifzügen durch die Stadt, während er auf die Antwort auf sein Zulassungsgesuch wartet. Er wird nie eine erhalten, und das Geld geht ihm aus. Am Ende des Romans arbeitet er in einem Zoofachgeschäft, wo er Regale auffüllt.
So zusammengefasst, klingt die Geschichte banal. Aber bei diesem Roman von Günther Freitag ist das ‘Skelett’ der Story, wenn ich so sagen darf, zweitrangig. Nicht was der Ich-Erzähler Konrad erzählt ist wichtig, sondern wie er es erzählt. Denn die Welt, in der Konrad lebt, ist voller mehr oder weniger seltsamen Gestalten. Sein Professor in Wien hat mit den Studenten nicht Partituren durchgenommen – für ihn war es wichtig, mit welcher Frisur und welchen Schuhen der Dirigent den Orchestergraben betritt. Und da es vom Wort „Orchestergraben“ nicht weit zum „Grabenkampf“ ist, sollte der Student auch wissen, wie er sich vom Eingang dieses Grabens zu seinem Pult durchzukämpfen hatte. Deshalb verlegte der Professor eine Stunde in den dunklen Abstellraum des Konservatoriums, wo die Studenten sich ohne Licht von der Tür bis zu ihm durchzuschlagen hatten – an diversen abgestellten Flügeln und andern Instrumenten vorbei. Konrad heult bei seinen Niesattacken auch nicht einfach Rotz und Wasser, wie es andere Allergiker zu tun pflegen: Was ihm aus den Augen tränt und aus der Nase fließt, ist ein dicker, zähflüssiger Schleim, vor dem es seiner Umwelt einfach nur ekelt. Ein Dasein als Klavierlehrer wird so sehr schwierig…
Dem Autor erlaubt Konrads skurrile Sicht auf die Welt, eine bissige Satire auf den ‘Kulturbetrieb’ einzuflechten. Beim Versuch, das Berliner Konservatorium zu besuchen – es ist noch Ferienzeit – wird er von einem Hausmeister angehalten. Der hält ihn aber dann für den neuen finnischen Assistenzprofessor und lädt ihn zu sich nach Hause ein. Dort erfährt Konrad von dessen Frau, dass der vermeintliche Hausmeister nur ein Ex-Hausmeister ist. Er wurde nämlich entlassen, weil er einen Diebstahl nicht verhindert, ja vielleicht sogar begünstigt hatte. Um sich bei Konrad wieder lieb Kind zu machen, verspricht der Ex-Hausmeister ihm, jenen Taktstock zu besorgen, den einst Alban Berg dem großen Gustav Mahler stibitzt habe. (Denn Mahler ist Konrads Leibkomponist. Immer und immer wieder studiert er die Partituren zu dessen Symphonien.) Natürlich wird daraus ebenso wenig wie aus Konrads Studium in Berlin.
Auch sonst zeigt sich die ‘Kultur’ von einer merkwürdigen Seite. Da ist Konrads Tante, bei der er in Berlin lebt, weil’s billiger kommt, und die selber eine Art Statuen gestaltet. Es ist ihr gelungen, für eine Vernissage einen ‘Kulturdezernenten’ zu gewinnen. Zwar kann der in seiner Rede ihren Namen nicht einmal richtig vom Blatt ablesen (vielleicht ist er auch da schon falsch geschrieben), aber das ist nicht wichtig. Wichtiger als der Kulturdezernent ist der Journalist, der eine Berichterstattung verspricht. Der Kulturdezernent zieht sich lieber an die Bar des Cafés zurück, in dem die Vernissage stattfindet, um dort bei einem Glas Wein mit einem Kollegen über die Geschwindigkeit ihrer Autos und ihre Qualitäten als Fahrer zu reden. (Mit der Berichterstattung ist es dann auch so eine Sache: Der Bericht ist winzig klein, und der Name der Künstlerin fehlt darin.)
À propos Familie: Sie besteht aus Konrads Vater, einem ziemlich erfolgreichen Rechtsanwalt, seiner Mutter und seinen beiden Schwestern. Der Vater hat seinen Sohn schon längst abgeschrieben. Der musisch Veranlagte ist das sprichwörtliche schwarze Schaf, mit dem eine Familie zu rechnen hat. Das hindert den Vater nicht daran, seinen Sohn mit Worten herunterzumachen, wo und wann er nur kann. Die Mutter würde zwar zum Sohn halten, ist aber zu schwach, um sich dem Patriarchen entgegen zu stellen. Die beiden Schwestern sind nach dem Vater geraten. Sie haben die Rechte studiert und sind vom Vater als Nachfolgerinnen für seine Anwaltspraxis vorgesehen. Ich weiß nicht, ob Günther Freitag auch mit Konrads Familie groteske Verhältnisse schildern wollte. Diese Familie wirkt auf jeden Fall in der ganzen skurrilen Welt Konrads verblüffend ‘echt’. Es gibt sie, gibt sie zuhauf, diese dysfunktionalen Familien. Ein Vater muss nicht unbedingt physisch gewalttätig werden, verbale Gewalt, wie in Konrads Fall, genügt auch, um einen Menschen kaputt zu machen.
Konrad ist allergisch auf Hundehaare. (Was seine Arbeit in einem Zoofachgeschäft etwas kompliziert macht.) Er ist aber im Grunde genommen allergisch auf die ganze Welt – sobald und sofern sie Ansprüche an ihn stellt und er die Ereignisse nicht unter Kontrolle hat. Und das hat er selten genug. Wir kennen ähnliche groteske Figuren, die sich von den Ansprüchen der Welt bzw. der Väter oder Mütter, zurückziehen, zum Beispiel vom Schweizer Gerold Späth. Unschlecht oder Balzapf sind solche skurrilen Figuren, die sich in eigene, skurrile Welten zurück gezogen haben. Der Unterschied ist genau der: Bei Späth separieren sich die grotesken Gestalten von der übrigen, ‘normalen’ Welt und verkriechen sich in eine eigene. Konrad hingegen stülpt seine groteske Welt der ‘normalen’ Welt über. Das kann auf Dauer nicht gut gehen – denn die ‘normale’ Welt verfügt bei Freitag durchaus über ihren eigenen Überlebenswillen. Es kommt, wie es kommen muss, und die Situation eskaliert. Konrad, im Geschäft von zwei Hunden in die Enge getrieben, wehrt sich handgreiflich.
Erst als ich eine Polizeisirene hörte und kurz darauf vor dem Ladeneingang eine Funkstreife hielt, stellte ich mein Bombardement ein und wusste, ich war gerettet.
Nur einer wie Konrad kann sich für gerettet halten, wenn ihn die Polizei abholt… Es ist schwierig, den grotesken Gestalten und Situationen in Freitags Roman gerecht zu werden. Der Roman liest sich gut und vergnüglich – über weite Strecken eine herrliche Satire auf den Kultur’betrieb’. Den Literaturnobelpreis wird Günther Freitag damit nicht gewinnen. Aber der wird sowieso überschätzt.
Melancholische Billeteure
(August 2017)
Eine Frau zwischen zwei Männern, und doch keine Dreiecksgeschichte im herkömmlichen Sinn. Dora und Edwin, Billeteure im linken Parkett des Burgtheaters, in dem ihrer Meinung nach die wahren Kenner sitzen, sehen ihre Aufgabe nicht darin, die Besucher zu ihren Plätzen zu geleiten, sondern ihnen die Stücke zu erläutern. Während Edwin sich ausschließlich auf die Kunst konzentriert und nur durch seine Mutter mit ihrem neurotischen Papagei gestört wird, führt Dora mit dem Versicherungsagenten Viktor ein Leben neben dem Theater. Die beiden Männer ahnen nichts voneinander; was die Protagonisten verbindet, ist ihre problematische Jugend, geprägt durch Vaterfiguren, autoritär und lächerlich zugleich. Befreit die Kunst sie von ihren Erinnerungen, oder bleibt sie eine Illusion wie die Auftritte der gescheiterten Opernsängerin, der bei ihrem Debüt die Stimme versagte, und die Bemühungen des Bildhauers, dessen Skulptur Weltdummheit von der Realität überholt wird? Ist die Kunst vielleicht nur eine Täuschung, wie für den Juwelier, dem von seinem Vater verboten wurde, sich am Reinhardt-Seminar zu bewerben?
Ein fulminantes Scheitern ja, sagt Maman, ein Dahinvegetieren in der Mittelmäßigkeit nein! Wie oft habe die große Callas eine Vorstellung im letzten Moment abgesagt, selbst beim kleinsten Zweifel habe die sich geweigert aufzutreten, auch wenn sie gewusst habe, sie würde besser sein als die meisten Sängerinnen. Dass ausgerechnet sie auf diesen griechischen Emporkömmling hereingefallen sei, gehöre zu den großen Rätseln der Musikgeschichte.
Gebundenes Buch mit Lesenbändchen: 272 Seiten
Verlag: Wieser Verlag
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe
ISBN-10: 3990292552
ISBN-13: 978-3990292556
Rezensionen
Bretter, die die Welt bedeuten
Günther Freitags Melancholische Billeteure täuschen sich prächtig
Das Scheitern ist in unserem Kulturkreis nicht besonders gut angeschrieben. Scheitern, das meint Versagen, bedeutet Unfähigkeit, evoziert Probleme und Krisen und legt nahe, dass Fahrlässigkeit im Spiel war – wenn es freundlich zugeht. Geht es unfreundlich zu, kann schon mal das Stichwort Dummheit fallen. Was aber wären wir ohne das Scheitern und das auf ihn folgende Beharren? Wir hätten keine Glühlampen, keinen Harry Potter, wir hätten keinen Kommissar Brenner und Pablo Picasso wäre u.U. Gebrauchsgrafiker geworden. In Günther Freitags Gesamtwerk ist das Scheitern ein stetig anzutreffendes Thema. Gleich wie die Musik eine zentrale Rolle spielt. Von Kopfmusik beginnend über Satz für ein Klangauge hin zu Brendels Fantasie und zur Entführung der Anna Netrebko – Musik und Scheitern allüberall. Es ist eine besondere Form des Scheiterns, der die Charaktere erliegen: Sie scheitern nicht an technischen Rahmenbedingungen, nicht an ökonomischer Unterausgestattetheit und damit verbundener Nicht-Realisierbarkeit von Projekten, sie scheitern an ihren Vorstellungen, an ihren Phantasien, sie scheitern daran, dass die Realität mit der Welt, wie sie ihrer Vorstellung nach zu sein habe, nicht in Übereinklang zu bringen ist. Der Ursprung für diese Diskrepanz ist in den Melancholischen Billeteuren in der Familiengeschichte zu finden: Die autoritären Vaterfiguren, dominant, selbstherrlich, dem Alkohol nicht abgeneigt, bringen Edwin und Dora dazu, sich einer Ersatzwelt zuzuwenden, diesenfalls der szenischen Kunst am Burgtheater. Was als Selbstemanzipation zu einem eigenständigen Leben führen könnte, mündet bei den beiden aber in eine Form der fortwährenden Abhängigkeit. Edwin kümmert sich trotz stetig sich wiederholenden Denunziationen um seine Mutter, der ihr neurotischer Papagei näher steht als der Sohn, Dora führt eine On-Off-Beziehung mit dem hochstaplerischen Versicherungsagenten Viktor. Beide wiederum nehmen sich des Juweliers Schlössheimer an, leidenschaftlicher Theaterbesucher und vom Vater verhinderter Bewerber am Reinhardt-Seminar. Es sind die Bühnenbretter, die den beiden Hauptfiguren die Welt bedeuten. Manches Mal, so möchte man ihnen zurufen, befindet sich eines dieser Bretter aber direkt vor dem eigenen Kopf und verstellt einem so den Blick auf die Welt, wie sie auch sein könnte. Besser wäre es dann, dieses Brett zu nehmen und es als Werkzeug zu nutzen, sich einen neuen Weg zu bahnen, aus der Möglichkeitsform heraus, in die Wirklichkeit hinein. Das Verhältnis zwischen Wirklichkeit und Fiktion ist ein weiterer wesentlicher im Werk des Autors. Günther Freitag ist bekennender Vertreter eines literarischen Ansatzes, der der Phantasie stets das Primat gegenüber der Realität zu geben bereit ist. Die Realität verschränkt sich mit dem Phantastischen, Realitätsgrenzen verschieben sich ins Groteske, Absurde oder Wahnhafte. Interessant dabei ist, dass sich spätestens seit dem Roman Flusswinter die Realität konkret in das Werk Freitags schleicht. Sei es die wirtschaftlich-politische Lage Italiens in Die Mosaike von Ravenna, sei es der ehemalige Bundesminister für Landesverteidigung, Karl Lütgendorf, in den Melancholischen Billeteuren – das Reale heftet sich an das Fiktionale. Erstaunlich ist der dadurch entstehende Effekt: Die eingewobenen historischen Versatzstücke spitzen das Dunkle, Verdrängte aus der Vergangenheit noch weiter zu. Wo die psychisch und physisch gewalttätigen Vaterfiguren des Romans mit historischen Persönlichkeiten kurzgeschlossen werden, entwächst aus dem Düster-Unheimlichen des Fiktionalen der Blick auf die Realität und als Lesender wird man sich bewusst, dass es sich bei dieser um ein noch viel größeres Pandämonium des Monströsen handelt. Über die Jahre hinweg hat Günther Freitags Werk so eine Form angenommen, die es als sehr markantes innerhalb der österreichischen Gegenwartsliteratur ausweisen. Die Melancholischen Billeteure sind das aktuellste Zeugnis dieses Schaffens, in dem sich konsequent eine ganz eigene Sprachmelodie und -welt verdichtet.
Hannes Luxbacher Günther Freitag: Melancholische Billeteure. Wieser: Klagenfurt/Celovec 2017.
Melancholische Billeteure
Günther Freitag: Melancholische Billeteure.
Wieser 2017.
Von singenden Gebissen, toten autoritären Vätern und kriminellen Bewährungshelfern: «Melancholische Billeteure» ist ein Buch für Menschen, die gerne ins Theater (oder in die Oper) gehen, für Menschen, die gerne beissenden schwarzen (Wiener) Humor haben, und für Menschen, die gerne skurrile, aber liebenswürdige Figuren mögen.
Günther Freitag, von Haus aus Autor für das Theater («Drei Traumkongruenzen», 1990 und «Rost», 2010) und Romancier (zuletzt «Die Entführung der Anna Netrebko», 2015), gelingt ein grossartiges, aberwitziges Buch. Im Zentrum des Romans stehen drei Figuren: Edwin, Dora und Viktor. Edwin und Dora sind Billeteure am Burgtheater in Wien – und zwar mit Leib und Seele. Als «Kenner» sind sie für das linke Parkett zuständig, da sitzen nämlich die Leute, die die Stücke sehen wollen, während rechts die Leute sitzen, die gerne im Theater gesehen werden wollen. Edwin und Dora richten ihr Leben nach dem Spielplan im Theater, sie bereiten sich akribisch auf Vorproben, Hauptproben und Generalproben vor, schreiben jede noch so kleine Veränderung im Spiel auf, urteilen über das Regiekonzept und über die Leistung der Schauspielenden. Wobei natürlich immer die Regie schlecht wegkommt (oder der neue Intendant), die Schauspielenden dagegen sind wie Götter für sie. An «der Burg» spielen ja auch nur die Grossen, versteht sich. Edwin und Dora glauben, dass sie als Billeteure entscheidend mitverantwortlich sind für den Erfolg oder Misserfolg eines Theaterabends. Wenn die Leute auf der linken Seite merken würden, dass zwischen ihnen etwas nicht stimmt, dann würde das Unruhe im Parkett geben, die bis über den Bühnenrand in den Bühnenraum schwappen würde und die Schauspielerinnen und Schauspieler würden sich nicht konzentrieren können und folglich schlecht spielen. Die Harmonie unter den Billeteuren gilt es also zu erhalten! Freitag gelingt eine Schilderung des Theaterbetriebs, wie man sie selten liest. Auch wenn alles mit einem grossen Augenzwinkern geschrieben ist, findet man dennoch einige Körnchen Wahrheit in der absurden Welt des Theaters und kann sich ab und an ein lautes Lachen nicht verkneifen.
Doch die Harmonie zwischen Edwin und Dora gerät je länger desto mehr ins Wanken. Denn Viktor, der Exfreund von Dora, wird aus dem Gefängnis entlassen und kehrt ins Leben von Dora zurück. Obwohl sie ihn verachtet, fühlt sie sich stark zu ihm hingezogen und lässt sich wieder auf ihn ein. Edwin, der heimlich in Dora verliebt ist, bemerkt ihre «Affäre» mit diesem «Taugenichts» (wenn «die Burg» das wüsste…) und stellt ihr nach. Dass dies nichts Gutes für «die Burg» heisst, sei hier nur angedeutet.
Als ob dies noch nicht genug Sprengstoff bieten würde, verschachtelt sich der Roman immer mehr. Nebst den drei Hauptfiguren lernen wir nämlich auch die Mütter von Edwin (eine reiche, schnöselige alte Dame mit einem Papagei, den sie mehr liebt als ihren Sohn) und Viktor (eine senile alte Dame die behauptet, ihre Pflegerin wolle sie ermorden) sowie die «Frau Kammersängerin» kennen, die Dora in ihrer Freizeit betreut. Die «Frau Kammersängerin», die Dora «Maman» nennen muss, ist so ziemlich verrückt. Seit sie an ihrer ersten Premiere (vor rund 50 Jahren) keinen Ton herausgebracht hat, hat ihr Sohn es geschafft, sie in eine Scheinwelt zu retten. Er liess Zeitungsartikel fälschen, die von ihren grossen Auftritten schwärmen, hat ihr in ihrer Wohnung eine «Garderobe» gebaut, in der sie in ihrer erfundenen Vergangenheit schwelgen kann. Doch damit nicht genug: Für jede grosse Sopran-Rolle hat ihr Sohn, von Beruf Zahnarzt, ein Gebiss angefertigt (das «Donna-Anna-Gebiss» oder das «Tosca-Gebiss» etc.), die alle feinsäuberlich aufgeräumt in ihrer «Garderobe» darauf warten, eingesetzt zu werden. Gerade die Szenen mit «Maman» sind gleichzeitig so absurd und herzerwärmend komisch, dass man gar nicht mehr aufhören will zu lesen.
Auch die Väter, die eigentlich schon alle tot sind, geistern im Buch herum. Autoritäre Figuren, in ihrem Extremismus (sowohl der Sozialist wie auch der Faschist) total lächerlich und trotzdem gefährlich. Viktor und Edwin hatten keine einfache Kindheit, denn diese waren jeweils geprägt von Vorwürfen und Erniedrigungen durch die Väter.
Eine weitere wichtige Figur ist der Bewährungshelfer von Viktor, der ihn dazu nötigt, seine Verlobte zu beschatten, weil er denkt, sie habe eine Affäre. Da er ihn in der Hand hat, muss sich Viktor fügen. Dass die Verlobte tatsächlich eine Affäre hat, und zwar mit dem Sohn der «Frau Kammersängerin», ist nur eines der vielen Beispiele dafür, wie geschickt und undurchsichtig dieser ganze Roman gesponnen ist.
Klappt man am Ende das Buch zu, weiss man eigentlich nicht so recht, um was es im Roman wirklich ging. Vielmehr hat man einzelne wunderbare Szenen im Kopf, die sich zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Es bleibt das schale Gefühl, dass keine der Figuren am Ende ihr Glück finden wird, und dass dies fatale Folgen für «die Burg» haben wird.
Eine Frau zwischen zwei Männern, und doch keine Dreiecksgeschichte im herkömmlichen Sinn. Dora und Edwin, Billeteure im linken Parkett des Burgtheaters, in dem ihrer Meinung nach die wahren Kenner sitzen, sehen ihre Aufgabe nicht darin, die Besucher zu ihren Plätzen zu geleiten, sondern ihnen die Stücke zu erläutern. Während Edwin sich ausschließlich auf die Kunst konzentriert und nur durch seine Mutter mit ihrem neurotischen Papagei gestört wird, führt Dora mit dem Versicherungsagenten Viktor ein Leben neben dem Theater. Die beiden Männer ahnen nichts voneinander; was die Protagonisten verbindet, ist ihre problematische Jugend, geprägt durch Vaterfiguren, autoritär und lächerlich zugleich. Befreit die Kunst sie von ihren Erinnerungen, oder bleibt sie eine Illusion wie die Auftritte der gescheiterten Opernsängerin, der bei ihrem Debüt die Stimme versagte, und die Bemühungen des Bildhauers, dessen Skulptur „Weltdummheit“ von der Realität überholt wird? Ist die Kunst vielleicht nur eine Täuschung, wie für den Juwelier, dem von seinem Vater verboten wurde, sich am Reinhardt-Seminar zu bewerben?
Günther Freitag präsentiert seinen neuesten Roman
Günther Freitag (65), Schriftsteller aus Leoben, veröffentlichte seinen neuesten Roman „Melancholische Billeteure“ im Wieser Verlag.
In meinen Texten geht es oft ins Absurde, Skurrile. Solange die Freude am Erfinden bleibt, werde ich die mühevolle Arbeit des Schreibens niemals aufgeben“, meint Schriftsteller Günther Freitag aus Leoben. In erster Linie schreibe er für sich selbst. Etwa alle zwei Jahre aber teilt Freitag die Ergebnisse des literarischen Schaffens mit den geneigten Lesern: „Melancholische Billeteure“ heißt sein neuer Roman, der im Wieser Verlag erschienen ist.
Freitag rollt dabei keine herkömmliche Dreiecksgeschichte aus: Eine Frau, zwei Männer. So weit, so klassisch. Mit einem ihrer Kollegen teilt die Frau die Leidenschaft für Kunst und Kultur. Ihre Liaison mit einem Versicherungsvertreter wird allerdings von Liebe und Sexualität befeuert. Die Geschichte entwickelt Freitag vor der Kulisse der Wiener Theater – diese haben ihn auch ausdrücklich zu seiner Geschichte inspiriert. „Ich bin oft im Burgtheater und auch im Akademietheater. Dort gibt es zwei Mitarbeiter, die mir im Gedächtnis geblieben sind“, sagt Freitag. Bei allen Hauptcharakteren stehe eine autoritäre und gleichzeitig lächerliche Vaterfigur im Hintergrund. Die problematische Jugend sei die einzig echte Gemeinsamkeit zwischen den Protagonisten.
Am Parkett links
Am Parkett links im Burgtheater haben sich die beiden Billeteure eine eigene Traumwelt geschaffen, wo sie die Gäste nicht nur zu den Plätzen bringen, sondern ihnen die Stücke erläutern. Die Besucher: eine illustre Schar an skurrilen Typen. Freitag offenbart einmal mehr seinen Hang für das absurde Element. „Die Realität ist skurril. Aber ich glaube, ich kann mit meiner Fantasie eigentlich immer etwas drauf legen“, meint Freitag. Seiner Fantasie lässt er gerne freien Lauf. Ganz besonders gut gelinge ihm das im sonnigen Griechenland, für das er einen ganz besonders kritischen Blick entwickelt hat. In der touristisch geprägten Inselwelt Griechenlands sei alles auf Hochglanz lackiert. Dort sei einem das oft gnadenlose Elend am Festland nicht bewusst, dass in Athen und in den nordgriechischen Städten vorherrsche. Seit Jahren verbringt er viel Zeit auf der Insel Korfu, wo er nicht nur ausspannt, sondern sich auf das Arbeiten an seinen Texten konzentriert.
Weiten und Tiefen
Seine Arbeit bedeute, dass er aus den Weiten und Tiefen der Fantasie schöpfe: „Schriftstellerei ist nicht Abschreiben der Wirklichkeit. Man muss nicht alles selbst erlebt und erlitten haben, um darüber zu schreiben. Auch ein Arzt muss nicht krank sein, um Leute behandeln zu können“, meint Freitag. In „Melancholische Billeteure“ greift er auf die Ich-Perspektive zurück. „Dadurch wird für den Leser noch greifbarer, was die Personen antreibt. Es gibt keine erzählerische Instanz, die den Zugang abblockt. Die Distanz zum Leser wird geringer“, so Freitag. In die Gedanken- und Gefühlswelt der Frau einzutauchen, sei eine Herausforderung gewesen.
Nun zieht es ihn erneut ans Meer. Er geht wieder auf Reise – und das gleich im doppelten Sinn: Während er es sich auf der Insel Korfu in einem Liegestuhl im Schatten bequem macht, beschäftigt er sich in Gedanken schon mit seinem nächsten Buch. „Ich arbeite an dem ersten Rohentwurf. Es wird um einen allergiegeplagten Dirigenten gehen, der bei einem Geschäft für Tiernahrung als Regalbetreuer arbeitet“, verrät Freitag. Wie bei praktisch all seinen Werken und in seinem Leben ist es die Musik, die die erste Geige spielt.
Günther Freitag veröffentlichte neuen Roman
In seinem neuesten Werk „Melancholische Billeteure“ befasst sich der Literat einmal mehr mit Skurrilitäten des Lebens.
LEOBEN. Der Leobener Schriftsteller Günther Freitag hat ein neues Buch veröffentlicht, den Roman „Melancholische Billeteure“. Nach seinem letzten Werk, in dem sich Freitag der Oper und ihren Liebhaber widmete, verschlägt es ihn diesmal an das Wiener Burgtheater.
Kunst nur Illusion?
Im Mittelpunkt des neuesten Romans stehen drei Hauptakteure – eine Frau und zwei Männer – und doch handelt es sich nicht um eine Dreiecksgeschichte im herkömmlichen Sinn. Dora und Edwin sind Billeteure am linken Parkett des Burgtheaters, dort wo ihrer Meinung nach die wahren Kenner sitzen. Allerdings reduzieren sie sich nicht nur darauf, die Besucher zu ihren Plätzen zu geleiten, sie sehen es auch als ihre Aufgabe an, ihnen die Stücke zu erläutern und mit ihnen darüber zu diskutieren. Während Edwin sich ausschließlich auf die Kunst konzentriert und nur durch seine Mutter mit ihrem neurotischen Papagei gestört wird, führt Dora mit dem Versicherungsagenten Viktor ein Leben außerhalb des Theaters – die beiden Männer ahnen nichts voneinander. Was die Protagonisten verbindet, sind die Schatten einer problematischen Jugend, geprägt durch Vaterfiguren, autoritär und lächerlich zugleich. Befreit die Kunst sie von ihren Erinnerungen oder bleibt sie eine Illusion, eine Flucht vor dem realen Leben, wie die Auftritte der gescheiterten Opernsängerin, der bei ihrem Debüt die Stimme versagte, und die Bemühungen des Bildhauers, dessen Skulptur ‚Weltdummheit‘ von der Realität überholt wird? Ist die Kunst vielleicht nur eine Täuschung, wie für den Juwelier, dem von seinem Vater verboten wurde, sich am Reinhardt-Seminar zu bewerben?
Günther Freitag: Melancholische Billeteure
Mit seinem Buch „Die Entführung der Anna Netrebko“ beschäftigte sich der Autor mit der Oper und ihren Liebhabern und Fans. Nun widmet er sich dem Wiener Burgtheater …
Günther Freitag scheint in der Wiener Kulturszene beheimatet zu sein, denn nach seinem Vorgänger-Roman, in dem die Wiener Staatsoper doch eine nicht unbedeutende Rolle spielte, widmet er sich nun einer anderen Wiener Kulturinstitution: dem Wiener Burgtheater.
Es ist die Geschichte dreier Menschen, von denen zwei als Billeteure (wie ist hier eigentlich die weibliche Form? Billeteuse?) im Burgtheater arbeiten. Für beide ist es nicht nur Arbeit: schließlich sind sie für die linke Parkettseite verantwortlich. Und das ist jener Bereich, in dem die Kenner sitzen. Beide nehmen daher ihre Arbeit sehr ernst – es geht nicht nur um das Platz anweisen, diese Aufgabe kann nur jemand erfüllen, der sich auch mit den Stücken, den Schauspielern, den Regisseuren beschäftigt. Da wird schon ein ums andere Mal nicht nur untereinander über eine Aufführung diskutiert, sondern auch mit dem Publikum Meinung ausgetauscht.
Fast nebensächlich bekommt der Leser Kenntnis von ihrer Lebensgeschichte, den Eltern, den Hoffnungen, Sehnsüchten und Begierden. Auch an skurrilen Elementen ist das Buch reich: oder wie würden Sie es bezeichnen, wenn Mutter und Sohn mit einem Papagei im Käfig ins Palmenhaus marschieren, damit dieser dort seine „Depressionen“ bekämpfen kann.
Obwohl die Handlung eigentlich ein bisschen dahin plätschert und nichts besonders aufregendes passiert, zwingt der Roman den Leser in seinen Bann und man kann kaum das Lesen beenden. Dazu trägt sicher auch das Wechseln der Erzählperspektive zwischen den Hauptfiguren bei.
Eine Frau zwischen zwei Männern, und doch keine Dreiecksgeschichte im herkömmlichen Sinn. Dora und Edwin, Billeteure im linken Parkett des Burgtheaters, in dem ihrer Meinung nach die wahren Kenner sitzen, sehen ihre Aufgabe nicht darin, die Besucher zu ihren Plätzen zu geleiten, sondern ihnen die Stücke zu erläutern. Während Edwin sich ausschließlich auf die Kunst konzentriert und nur durch seine Mutter mit ihrem neurotischen Papagei gestört wird, führt Dora mit dem Versicherungsagenten Viktor ein Leben neben dem Theater. Die beiden Männer ahnen nichts voneinander; was die Protagonisten verbindet, ist ihre problematische Jugend, geprägt durch Vaterfiguren, autoritär und lächerlich zugleich. Befreit die Kunst sie von ihren Erinnerungen, oder bleibt sie eine Illusion wie die Auftritte der gescheiterten Opernsängerin, der bei ihrem Debüt die Stimme versagte, und die Bemühungen des Bildhauers, dessen Skulptur Weltdummheit von der Realität überholt wird? Ist die Kunst vielleicht nur eine Täuschung, wie für den Juwelier, dem von seinem Vater verboten wurde, sich am Reinhardt-Seminar zu bewerben?
Buchtipp: Melancholische Billeteure
Dora und Edwin, Billeteure im linken Parkett des Burgtheaters, in dem ihrer Meinung nach die wahren Kenner sitzen, sehen ihre Aufgabe nicht nur darin, die Besucher zu ihren Plätzen zu geleiten, sondern vor allem ihnen die Stücke zu erläutern.
Während Edwin sich ausschließlich auf die Kunst konzentriert und im „normalen“ Leben nur durch seine Mutter mit ihrem neurotischen Papagei gestört wird, führt Dora mit dem Versicherungsagenten Viktor ein Leben neben dem Theater.
Was Dora und Edwin verbindet, sind die Schatten einer problematischen Jugend mit ebenso autoritären wie lächerlichen Vaterfiguren. Die Frage ist, ob die Kunst sie von ihren Erinnerungen befreien kann? Oder ob sie für die beiden nur eine Flucht vor dem realen Leben ist?
Die Entführung der Anna Netrebko
(September 2015)
Günther Freitag verdient es, aus den Winkeln der steiermärkischen Provinz ans Licht einer breiten literarischen Öffentlichkeit geholt zu werden.
Kölner Stadtanzeiger
Die Mutter des Ich-Erzählers, eine erfolgreiche Anwältin, unterdrückt ihren Sohn, in seiner Schwäche ein leichtes Opfer ihrer Machtspiele. Während sie medienwirksame Prozesse führt, muss sich der Ich-Erzähler mit obskuren Klienten abmühen und findet zu keinem eigenen Leben. Auch deshalb nicht, weil ihn seine Fälle immer wieder in die Scheinwelten von Fantasten und notorischen Querulanten ziehen, deren Klagen sie von ihren misslungenen Lebensentwürfen ablenken.
Aufgewachsen ohne Vater und erzogen in Internaten, spielt der Sohn eine lächerliche Rolle in der Kanzlei der opernbesessenen Mutter, die auch sein Sexualleben so lange hemmt, bis er sich selbst auf die Welt der Oper einlässt; er beginnt eine Beziehung mit einer Choristin der Staatsoper, nachdem er Anna Netrebko gehört hat, setzt der Tenorverehrung der Mutter seine Faszination entgegen und vermengt dabei immer stärker die Identität seiner Geliebten mit jener Anna Netrebkos.
Gebundenes Buch mit Lesenbändchen: 200 Seiten
Verlag: Wieser Verlag
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe
ISBN-10: 3990291599
ISBN-13: 978-3990291597
Rezensionen
Tagtraum. Eine dominante Mutter, ein schwächlicher Sohn: Sie ist Staranwältin, der Sohn ist in ihrer Kanzlei mit obskuren Klienten und Querulanten beschäftigt. Einzig in der Musik glaubt er, ihr ebenbürtig sein zu können – dabei verschwimmen Tagtraum und Wirklichkeit allerdings immer mehr. Ein unterhaltsamer Einblick in familiäre Abhängigkeiten.
Günther Freitag: Die Entführung der Anna Netrebko. Wieser, 260 S., 21 Euro
„Die Entführung der Anna Netrebko“: Ein anderer Kampf um Stimmen
Günther Freitags sprachwitziger Roman wird am Montag in der Buchhandlung Frick präsentiert
Wien – Der Grundton ist von allem Anfang an klar: „Obwohl Mama Verdi und Puccini über alles liebt und keine Premiere in der Staatsoper versäumt, ist sie ein ausgemachtes Ekel.“ Ist sie wirklich, diese monströse Wiener Erfolgsanwältin, übergewichtig, herrschsüchtig, egomanisch, verächtlich, sexuell unausgelastet. Als Mutter eine Katastrophe. Ihr Sohn, vierzig plus, farblos, linkisch, Stirnglatze, nicht nur stimmtechnisch eine Niete, ist ebenfalls Anwalt. Ein „Virtuose der Niederlagen“, der sich mit jenen verhaltensoriginellen Klienten plagen muss, die für die gewichtige Frau Mama höchstens lachhafte Witzfiguren – und daher unerheblich – sind.
Traum und Wirklichkeit
Günther Freitags „Die Entführung der Anna Netrebko“ (Wieser Verlag, 21 Euro, 259 Seiten) ist, ja, eine Art kombinierter Schlüssel- und Bildungsroman, ebenso sprachwitzig wie klug, der Montagabend in der Buchhandlung Frick präsentiert wird. Gnadenlos und bissig mischt Freitag Facts und Fiction, Traum und Wirklichkeit, erfundene Figuren und reale Persönlichkeiten. Da schimpft die Mutter (man erinnere sich: überheblich und dünkelhaft!) Claus Peymann einen „arroganten Lispler … Keine Ahnung vom Theater, ein Sprücheklopfer, ein selbstverliebter Greis, den niemand außer dem Kunstminister ernst nehme.“ Auch ihr Urteil über die amtierende Kulturministerin ist vernichtend: „Sie sei, nachdem sie eine staatliche Bank an den Rand des Ruins gewirtschaftet habe, statt in Untersuchungshaft genommen zu werden, als Ministerin angelobt worden, weil sie … nichts über die Verwicklung anderer Politiker in die krummen Geschäfte der Bank ausplaudern werde.“ Der Staatsoperndirektor „grinste und zeigte mir ein Gebiss, das mich an ein Pferd erinnerte. Er sei auch Sänger gewesen. Sänger und Tennisspieler, was in Rumänien keine außergewöhnliche Kombination sei.“
Innige Abneigung
Die innige Abneigung zwischen der Mutter, die nach einem Schlaganfall im Krankenhaus landet, und ihrem Sohn, der deswegen zumindest vorübergehend den Kanzlei-Chefsessel erklimmt, verlagert sich zunehmend auf die Kunst. Der Sohn erkennt, „dass die Musik das Gebiet ist, auf dem ich sie schlagen muss“. Zunächst ist es nicht Anna Netrebkos Stimme, sondern ihr Foto auf einem CD-Cover, das ihn zum gerade besessenen Bewunderer macht. „Putins Geliebte“, spottet daraufhin die tenorgeile Mutter, „die selbst nach ihrem Zusammenbruch mehr als hundert Kilo wiegt … Und jetzt dieser Weißrusse, Kasache oder Moldawier mit dem schwammigen Mondgesicht und seinem monströsen Bauch … Neben dieser Schießbudenfigur wirke sie beinahe zerbrechlich.“ Leider endet auch die Liebe zu Erica, einer Chorsängerin, im Fiasko. Wegen Anna natürlich. Die wird übrigens, so viel Spoiling darf sein, nicht wirklich entführt. (Andrea Schurian, 5.2.2016) – derstandard.at/2000030452898/Die-Entfuehrung-der-Anna-Netrebko-Ein-anderer-Kampf-um-Stimmen
Mitunter hat es den Anschein, als würden sich auch in der Literaturgeschichte Phänomene einmal als Tragödie und einmal als Farce, zumindest als Satire manifestieren. Denn waren Geschichten über Elternfiguren, meist Väter, in den 1970er-Jahren noch triefend vor Tragik, kann man diese Thematik nunmehr verstärkt in der komischen Perspektive erleben, wie etwa in Günther Freitags satirischem Roman Die Entführung der Anna Netrebko. Denn die Mutter, die uns der der Icherzähler schildert, ist ein 120 Kilo schweres „ausgemachtes Ekel“, das den gut 40-jährigen Sohn nach allen Regeln der Matronenkunst gängelt. Nun kennt man humoresk gezeichnete, hyperprotektive Mutterfiguren ja auch als jiddische Mamme, so etwa bei Raphael Seligman oder Thomas Mayer; aber die Wiener Mamme in diesem Roman schlägt die jiddischen allemal um Längen, nämlich durch die Perfidie ihrer Herrschaftsausübung. Denn meint es die jiddische Mamme auf ihre spezifische Weise letztlich denkbar oder unerdenklich gut mit dem Sohn, so meint es diese Mutter mit ihrem Sprössling herzlich schlecht. Dieser ist wie seine Gebärerin Rechtsanwalt, vom Status her aber nicht mehr als Hilfskraft in ihrer Kanzlei. Denn während sie Politiker und Wirtschaftsmächtige in spektakulären Angelegenheitenmedienwirksam vertritt, teilt sie ihm die mickrigen und aussichtslosen Fälle zu, wie etwa jenen des paranoiden Querulanten Siebenklar. Sie thront in einem Bürosalon mit Stilmöbeln, während das Arbeitskämmerchen dieses Wiener Stadtneurotikers im IKEA-Stil eingerichtet ist. Und wenn er einmal glaubt, mit einer Causa wie Bankbetrug Aufsehen machen zu können, zerrinnt ihm die Brisanz des Falles während der Bearbeitung zwischen den Fingern. So er einmal doch einen Prozess gewinnt, klärt ihn seine Mutter auf, dass das nicht sein Verdienst sei, sondern dass der Richter „ein vom Alkohol und seinen zahllosen Liebschaften“ gezeichnetes Wrack sei und „das Urteil eines Alkoholikers“nicht zähle.Es scheint, als wäre das ganze Leben des Sohnes eine Self-Fullfilling-Prophecy der Mutter: „Es gebe Siegernaturen und geborene Verlierer, meint Mama“, und er gehöre eben zur letzten Kategorie, er ist einer Selbstcharakteristik nach „ein Virtuosein Niederlagen“. Und weil er auch eine so mickrige Verliererstimme hat und kein solch bestimmendes Organ wie die Mutter, schickt ihn diese zu einer sogenannten Burgtheaterlegende zum Sprechtraining. Der alte Schauspieler, der kein Wort über Peymann hören will, ähnelt in seiner Erscheinung halbwegs der jenes alten Germanistikprofessors, der in einer frühen, kafkaesk absurden Erzählung von Günther Freitag auftritt. „Er öffnete sein Sakko, nachdem er bemerkt hatte, dass es falsch zugeknöpft war. Auf Hemd und Schuhe hatte er vergessen, das zerknitterte Unterleibchen war in den Hosenbund gestopft.“ Solche Passagen stehen, abgesehen davon, dass sie höchst vergnüglich zu lesen sind, metonymisch für einevernehmliche Tendenz dieses Romans, nämlich eine treffend-satirische Entlarvung der Eitelkeiten und der unermesslichen Hohlheit des bourgeoisen Kunst- und Kulturbetriebes und der verlogenen Selbstinszenierung der sogenannten „besseren Gesellschaft“. Dafürsteht als Illustration auch der Internatskollege und mittlerweile versoffene Musikkritiker Köhldorfer, der den Icherzähler seit jeher – nicht ganz von ungefähr –nur mit „Muttersöhnchen“ anspricht und der seine Kritiken bloß aus nichtssagenden schablonisierten Textelementen fabriziert. Er hat – auch er zeigt sich als kläglicher Generationenkämpfer – nur aus Hass gegen seinen komponierenden Vater Musikwissenschaft studiert und ist Kritiker geworden, um diesen zu vernichten – ein Akt, von dem das Muttersöhnchen nur, wenn auch häufig, träumen kann: „Oft habe ich mir vorgestellt, Mama sei tot.“ Denn dann könnte er nicht nur die Kanzlei übernehmen, sondern auch die dauernde Demütigung als Mann hätte ein Ende. Das Muttermonster nämlich agiert nicht nur auf perfide Weise kastrierend und macht seine überaus spärlichen Frauenbekanntschaften zunichte, sondern hält ihn auch in bizarrer Weise mit ihren mächtigen, des Öfteren entblößten Körperformen in ambivalent ödipaler Geiselhaft. So hat sie etwa ein sardonisches Vergnügen daran, betrunken ihre ekstatisch verehrten Tenöre zu hören und dabei vor dem Sohn zu masturbieren. Dieser Mutterkörper ist ein nahezu klassischer gargantuesk-grotesker Leib, wie auch die geschilderten Verhältnisse und Figuren im Roman grotesk bzw. jenseits der Realitätsgrenzen angesiedelt sind. Denn realistisches Schreiben war nie Kennzeichen von Günther Freitags Poetik, seine Gegenwelten bieten satirisch überzeichnete, groteske oder absurde, jedenfalls verschobene Perspektiven auf die Verhältnisse.
Als die Mutter einen Schlaganfall erleidet, sieht der Sohn die Chance, sich ein wenig zu emanzipieren.Er zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus, beginnt sich schicker zu kleiden und: Er entdeckt den Gesang von Anna Netrebko für sich: „Annas Stimme ist mein Schutzwall gegen Mama.“ Mit Anna, der er leidenschaftlich verfällt und mit der er lange phantasmatische Gespräche führt, will erden Tenören der Mutter kontern. Doch diese, wieder einigermaßen genesen, pariert sein jämmerliches Ansinnen wie gewohnt: „Dass ich meine Zeit mit Pornofilmen vergeude, habe sie hingenommen, mein plötzlich erwachtes Musikinteresse könne sie nicht ernstnehmen. Das sei doch bloß ein weiterer kindischer Versuch, mich mit ihr zu messen.“Ihr Kampf gegen seine abgöttische Verehrung von„Putins Schätzchen“ ist unerbittlich. Diese intermedialen Passagen, in denen musikalische Gefechte ausgetragen werden, sind wahrhafte Gustostückchen für den Opernliebhaber, und es sind treffliche Karikaturen von kulturbeflissenen Hörgewohnheiten, die auf Halbbildung beruhen. Als der Sohn die Sängerin Erica kennenlernt, die ihm auf höchst verquere Weise zur Anna wird, und die Mutter diese Beziehung nicht engagiert hintertreibt, erfasst den Leser die untrügliche Ahnung, dass sich die Handlung zur finalen Katastrophe hin steigert.
Mit Anna in ein Paralleluniversum
Günther Freitag präsentiert heute im Klagenfurter Musil-Museum seinen neuen Roman. Eine Würdigung von Gerhard Melzer*.
Bücher sind Spiele, die Autoren mit ihren Lesern spielen. Den Auftakt zu diesem Spiel gibt meist schon der Titel. Er weckt Erwartungen. Ob und wie sie eingelöst werden, prägt den Fortgang des Spiels. Keine Frage, dass der Titel von Günther Freitags jüngstem Roman ganz besondere Erwartungen weckt. Anna Netrebko, die berühmteste Operndiva der Jetztzeit, werde entführt: Das verspricht Glamour und Krimispannung. Beides allerdings liefert Freitag nur sehr bedingt. Der Glanz erweist sich als Abglanz, und die Spannung verdankt sich keinem Kriminalgeschehen, sondern dem tiefen Einblick in eine neurotische Psyche.
Der Ich-Erzähler des Romans ist ein Schwächling, unterdrückt von seiner Mutter, einer erfolgreichen Anwältin, die ihrem Sohn kaum Spielraum für ein selbstbestimmtes Leben lässt. Während sie medienwirksame Prozesse führt, müht sich der Ich-Erzähler mit den Scheinproblemen verschrobener Klienten, eines Architekten etwa, der Bauwerken eine verpflichtende Psychotherapie verordnen will. Die könnte auch ihm nicht schaden, denn mit der Zeit färbt die wahnhafte Weltwahrnehmung der Klienten auf ihn selber ab. Er bildet sich eine Beziehung zu Anna Netrebko ein, die ihn so in Bann schlägt, dass jede leibhaftige Gefährtin dagegen verblassen muss.
Freitag entwickelt die Geschichte dieses Sonderlings mit souveräner Leichtigkeit. Er erzählt sie strikt aus dessen Perspektive, aus dem Inneren eines Bewusstseins, das sich seine eigenen Realitäten schafft. Der Mann ist alles, nur keine Identifikationsfigur, und trotzdem sieht man sich unmerklich verstrickt in sein Paralleluniversum.
Dazu trägt zu einem Gutteil die unfreiwillige Komik bei, die sein Verhalten kennzeichnet. Sie denunziert ihn nicht, stellt ihn nicht bloß, sondern gerät zum Mittel der Kritik an der machtvollen Erfolgswelt der Mutter. Unversehens ertappt man sich dabei, wie sich ins Lachen über den versponnenen Außenseiter das verständnisinnige Lächeln der Sympathie mengt.
Unterschwellig freilich wirkt die Drohung weiter, die dem abgründigen Wahn des Ich-Erzählers innewohnt. Sie bestimmt dann vor allem den Schluss des Romans, der die Leichtigkeit des Erzähltons auf irritierende Weise zurechtrückt. Das Spiel, das Günther Freitag hier spielt, bleibt bis zuletzt offen, und es erweist ihn als einen Autor von hoher Kunstfertigkeit, dem längst eine größere Leserschaft zu
Roman um ein Muttersöhnchen
In den Augen seiner Mutter ist er ein Versager – sie, eine berühmte Anwältin mit eigener Kanzlei, die spektakuläre Fälle der Reichen und Schönen verhandelt. Ihr Sohn, ein Muttersöhnchen, das noch zu Hause lebt, keine Frau hat (außer hin und wieder einmal eine Prostituierte) und dem man keine schwierigeren Fälle anvertrauen kann. Und er erträgt die Schmähungen seiner Mutter stoisch, ihre Erniedrigungen und Missachtungen seiner Person. Denn er weiß, dass er es sehr wohl könnte – schwierige Fälle verhandeln, eine Frau haben, eine Familie gründen. Aber er kommt gegen die dominante Mutter nicht an. Also flüchtet er sich in seine ganz privaten Träume, in denen die Opernsängerin Anna Netrebko seine Heldin ist.
Alles begann damit, dass er sich diese CD gekauft hatte. Und plötzlich meinte er zu verstehen, was seine Mutter, die Opernnärrin, vermutlich empfinden musste, wenn sie die berühmten Arien der „Italiener“ hörte. Mama war übrigens, nachdem sie sich an Pavarotti satt gehört hatte, zu Jonas Kaufmann übergegangen, was rein optisch gesehen ein ziemlicher Gewinn war! Als er dann auch noch dank eines ehemaligen Mitschülers, der jetzt Opernkritiken schreibt, die Bekanntschaft einer echten Opernsängerin macht, und die sich auch noch für ihn interessiert, gelangt er emotionell ganz schön in Schwierigkeiten.
Günther Freitag gibt uns wortreich Einblick in das vertrackte Seelenleben seines Protagonisten und versteht es geschickt, uns in seine Welt hineinzuversetzen, und mit ihm die richtigen Personen zu hassen oder zu lieben.
Der Icherzähler ist ein bedauernswürdiges Muttersöhnchen, die Mutter ein Anwalts-Ekel und Operntenor-Fanatikerin. Sie führt als öffentlich geachtete Anwältin prominente Prozesse, ihr Sohn dagegen arbeitet ebenso in der Kanzlei, muss sich aber mit juristischem Kleinkram und obskuren Klienten zufrieden geben. Die opernbesessene Mutter unterdrückt ihren Sohn, der so zu keiner eigenen Identität finden kann. Seine Liebesbeziehungen scheitern zunächst. Mit Machtspielen mischt sich das Ekelpaket ständig in die Arbeit und das Leben des Jungen ein. Hunde heißen Karajans, die Wiener Opernszene, die Klassikbranche ist die Handlungskulisse für diese groteske Romanhandlung, in der bald die russische Operndiva und Putinfreundin Anna Netrebko die Hauptrolle spielen wird. Warum, berichten wir etwas später.
Die Muttertreibt es mit Korpsstudenten: “Beim Sex sei es wie in der Oper: auf die Besetzung komme es an…“ Regnet es, hört sie Pavarotti, scheint die Sonne, dann passt die Stimme von Corelli. Der Sohn arrangiert sich in das Abhängigkeitsverhältnis, denn er ist ein „Virtuose der Niederlagen“, wie er bekennt.
Er vergleicht die Skrupellosigkeit seiner Mutter mit jener der größten Diktatoren der Weltgeschichte. Im CD-Laden kauft der Erzähler mit der Frage, welche weiblichen Stimmen derzeit angesagt seien, eine Netrebko-Disc, „Sempre libera“. Er steigert sich in ein phantasiertes Liebesverhältnis hinein, träumt von Anna, spricht mit ihr, teilt mit der Opernsängerin sein Alltagsleben, hängt ein CD-Coverfoto von Anna an die Wand, bewundert sie und Annas Stimme ist der „Schutzwall gegen Mama“.
Der Leser leidet mit dem Opfer, freut sich über Befreiungsversuche, lacht, wenn über Opernregisseure gelästert wird, weil sie die Opernchoristen in Businessanzüge oder Naziuniformen stecken und so moderne Opernregie definieren, oder Opernkritiker als „Spatzenhirne“ bezeichnet werden, die im Hotelzimmer nach Premieren ihre eigenen Notizen nicht mehr lesen können, weil der Alkohol ihre kritischen Hirne vernebelt.
Wie das „Sklavenverhältnis“ zwischen Mutter und Sohn sich am Ende entwickelt, soll hier hinter dem Opernvorhang bleiben und nicht souffliert werden. Günther Freitag, dessen „Brendels Fantasie“ in der Elke-Heidenreich-Edition bei Bertelsmann erschienen ist, verdient eine größere Aufmerksamkeit in der literarischen Öffentlichkeit, wie der Kölner Stadtanzeiger anmerkt. Jawohl! Das Buch ist treffgenau entwickelt, einfühlsam geschrieben, fasziniert durch die Anordnung der handelnden Personen, kommt ohne direkte Dialoge aus, ist an keiner Stelle langweilig und lässt sich sogar lesen von Menschen, die weder von Peymann, noch von Netrebko und schon gar nicht von Pavarotti etwas gehört haben. Ein Buch wie ein Notenschlüssel, rätselhaft verschlungen, geheimnisvoll. Melodisch!
Norbert Schreiber – Faces of Books
Eine erfolgreiche, despotische Mutter, die Heldentenöre verehrt und ihren Sohn gängelt und unterdrückt. Ein im Internat aufgewachsenes, ungewolltes Kind – als Ich-Erzähler ein erwachsener Mann – , das seiner Mutter nichts recht machen kann. Eine Schwärmerei für die Opernsängerin, die zu einer Obsession wird. Und das alles vor den Kulissen von Wien. Das sind die Zutaten, aus denen dieser Roman besteht.
Wie gelingt es dem Protagonisten aus dieser schier aussichtslosen Lage herauszukommen und seine Träume zu leben?
Die Geschichte präsentiert sich wie eine verschlungene, unwirkliche Inhaltsangabe zu einer Oper, die aber trotzdem fesselt und einem bis zum Schluss nicht loslässt.
Muttersöhnchen mit Schweinsohren
„Obwohl Mama Verdi und Puccini über alles liebt und keine Premiere in der Staatsoper versäumt, ist sie ein ausgemachtes Ekel. Mit einer entsetzlichen Stimme, der die leisen Töne fremd sind …“, so beschreibt der Mitte Vierziger seine dominante Mutter, in deren Rechtsanwaltskanzlei er arbeitet und in ihrer 1.-Bezirk-Wohnung er lebt. Sie ist der Star, er bekommt die nichtigen Fälle, wobei dies dem Autor Günther Freitag die Gelegenheit gibt, skurrile Charaktere in die Geschichte einzuführen. Vordergründig geht es um die Emanzipation eines Muttersöhnchens mithilfe von Musik, genauer gesagt der Magie der schönen Anna Netrebko, hintergründig eher darum, dass Freitag nach allen Seiten hin austeilt. Das erinnert anfangs an Thomas Bernhard, aber irgendwann wird die Bosheit der Kommentare zu offensichtlich. Trotzdem liest man gespannt weiter, um rauszukriegen, ob der Sohn seinen Kampf schafft.
Irene Schwingenschlögl
Die Entführung der Anna Netrebko
Die Mutter des Icherzählers ist eine erfolgreiche Anwältin, die ihren Sohn unterdrückt. Sie führt die medienwirksamen Prozesse, er darf sich mit obskuren Klienten abmühen. Ohne Vater aufgewachsen, in Internaten erzogen, spielt er in der Kanzlei seiner Mutter eine inferiore Rolle. Erst als er sich ebenfalls auf die Welt der opernbesessenen Mutter einlässt, gelingt ihm ein Befreiungsschlag. Er verliebt sich in eine Choristin, verehrt Anna Netrebko und setzt der Tenorverehrung der Mutter einen grandiosen Sopran entgegen.
In den Büchern von Günther Freitag spielt Musik oft eine wichtige Rolle. In den neuen Roman „Die Entführung der Anna Netrebko“ ist viel von seinem umfangreichen Wissen über die Oper eingeflossen. Doch es ist kein Bildungsroman geworden, sondern eine tiefschwarze Satire auf eine Mutter-Sohn-Beziehung. Dass Günther Freitag gern mit satirischer Überzeichnung arbeitet, hat man unter anderem schon am 2013 erschienenen Erzählband Café Olympia gesehen. Auch der Roman Die Entführung der Anna Netrebko bietet viele Gelegenheiten zum Kichern, so der Leser nur ein Quentchen schwarzen Humor besitzt.
Günther Freitag erzählt darin die Geschichte einer Mutter-Sohn-Beziehung, wie sie schlechter nicht sein könnte. Die Mutter, erfolgreiche Anwältin, Opernliebhaberin und ungeheuer dick, unterdrückt und demütigt ihren Sohn, wo sie nur kann. Dieser hadert zwar mit seinem Schicksal, unternimmt aber nichts, um sich auf die eigenen Füße zu stellen. Sein freudloses Leben ändert sich erst, als er sich aufgrund ihres Fotos auf einem CD-Cover unsterblich in die Sängerin Anna Netrebko verliebt und – quasi als Ersatz für die Unerreichbare – eine Beziehung mit einer Chorsängerin eingeht.
… sehr unterhaltsames Kunststück von heillosem Versagertum und operngeilem Muttermonstrum… (Ingrid Traversa)
Barbara Belic, Radio Helsinki
Mama ist eine erfolgreiche Anwältin, machtgierig und Tenor-besessen. Dass der Sohn ein Virtuose in Niederlagen ist, verwundert nicht. Doch dann verliebt er sich selbst unsterblich in Anna Netrebko … Günther Freitag nimmt die Musikbesessenheit mancher Zeitgenossen gnadenlos aufs Korn und liefert treffliche Psychogramme von Siegern und Verlierern,
von Phantasten und von Idealisten – schräg, witzig und berührend.
Mama ist eine erfolgreiche Anwältin, die Politiker und Manager verteidigt, sie ist skrupellos, machtgierig und ebenso herrschsüchtig wie gefühlskalt. Kein Wunder, dass der Sohn der geborene Verlierer ist, erzogen von Gouvernanten und später im Internat bei den Benediktinern. Die erste ernstzunehmende Freundin hat Mama sofort in die Flucht geschlagen, und auch sonst lässt sie keine Gelegenheit aus, ihren Sohn zu demütigen. „Ich bin ein Virtuose in Niederlagen“, sagt dieser von sich selbst. (Foto: Michael Freitag)
Jetzt ist er Mitte Vierzig und ebenfalls Anwalt in Mamas Kanzlei, zuständig für die kleinen, uninteressanten Fälle. Diesen Klienten widmet sich der Sohn mit großer Aufmerksamkeit und ist auch durch deren Verrücktheiten nicht aus der Fassung zu bringen – wie von jenen Valentin Siebenklars, Architekt und Stadtbaumeister i.R., der sich in einer Provinzstadt um das Seelenleben von Gebäuden kümmert und daher zwangspensioniert wurde, oder durch seinen Neffen Jakob, einen Hypochonder, der einen musikalischen Pudel namens Karajan täglich spazieren führt und ihm im Kaffeehaus Sachertorte mit Schlagobers servieren lässt.
Es sind der scharfe Blick dieses Erniedrigten und Beleidigten auf seine skurrilen Klienten und der grimmige Humor, mit dem er sein Leben reflektiert, die bisweilen an Thomas Bernhard denken lassen. Dieses Leben ändert sich an dem Tag, als seine Mutter durch einen Infarkt für längere Zeit im wahrsten Sinn des Wortes außer Gefecht gesetzt wird – der Sohn verändert sein Outfit und Auftreten in der Kanzlei. Auch beschließt er, der Verehrung seiner Mutter für Tenöre wie Jonas Kaufmann einen Sopran entgegenzusetzen – und verliebt sich unsterblich in Anna Netrebko. Diese Liebe ist so heftig, dass unser Held mehr in seiner Traumwelt denn in der Realität lebt…
Günther Freitag nimmt in diesem grandiosen Roman aus dem Wieser Verlag nicht nur die Musikbessenheit mancher Zeitgenossen gnadenlos aufs Korn, er liefert auch treffliche Psychogramme von Siegern und Verlierern, von Phantasten und von Idealisten – ebenso schräg und witzig wie berührend.
Nicht nur für Muttersöhnchen: Günther Freitag „entführt“ Anna Netrebko
Wien (APA) – Die Mutter ist laut, dick, arrogant, steht als Anwältin in der Öffentlichkeit und masturbiert zu Arien ihrer Lieblingstenöre. Ihren in der Kanzlei niedrige Arbeiten verrichtenden Sohn behandelt sie wie Dreck. Kein Wunder, dass dieser sich in eine Scheinwelt flüchtet. Den Weg dorthin beschreibt Günther Freitag in seinem kunstinnigen wie unterhaltsamen Roman „Die Entführung der Anna Netrebko“.
Vorweg – bei dem im Wieser Verlag erschienenen Roman handelt es sich weder um einen Krimi noch um eine Komödie à la „Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott“. Vielmehr schildert der 63-jährige im steirischen Leoben lebende Autor den tristen Alltag eines knapp über 40-jährigen Mannes, den er in der Ich-Form durch das bürgerliche Wien schickt, in dem seine übermächtige Mutter ihn vom Erwachsenwerden ausschließt. Während er lustlos kleine, uninteressante Fälle beackert, tritt sie bei großen Fällen ins Scheinwerferlicht der Kameras. Zu allem Überdruss teilen sich die beiden auch noch eine Wohnung, in der der Sohn lediglich dazu da ist, für die Mutter CDs einzulegen und sich als Versager beschimpfen zu lassen.
„Mama stört alles an mir. Meine Körpersprache findet sie linkisch, an jeder meiner Gesten und Bewegungen sei die Unsicherheit des geborenen Versagers zu erkennen“, steckt Freitag die Fremdcharakterisierung bald ab. „Meine Stimme sei zu leise, noch dazu in einer unangenehmen Tonlage, von der Sprechmelodie ganz zu schweigen. Gegen die sei ja die Zwölftonmusik der reinste Belcanto, was mir nichts sagen werde, denn ich verstünde von Musik ja noch weniger als von der Rechtsprechung.“ Fachausdrücke aus dem Opernbereich finden sich auf den 260 Seiten ebenso wie jene aus der Juristerei. Beiden Sphären nähert sich der Ich-Erzähler an, als seine Mutter krankheitshalber kürzertreten muss und den Sohn für einige Wochen sich selbst überlässt.
Hat seine Mutter bisher noch jegliche Liebesbeziehung im Keim erstickt, lernt er durch einen Zufall eine junge Chorsopranistin der Staatsoper kennen. Parallel dazu entdeckt er in einem Plattengeschäft eine CD von Anna Netrebko, in die er sich augenblicklich verliebt. Nach und nach wird seine neu entdeckte Opern-Affinität zur Besessenheit, Tagtraum und Wirklichkeit verschwimmen immer mehr. Da hat der Anwalt alle Hände voll zu tun, seine Geheimnisse zu bewahren: vor seiner Mutter, seiner neuen Freundin und natürlich Anna, deren Bild er sich in Postergröße ins Schlafzimmer gehängt hat.
Im Laufe der Handlung vermag es Freitag, seinem Protagonisten durch Rückblenden ins Internat oder kuriose Klienten immer mehr Profil zu verleihen. So wird er von einem ehemaligen Schulkollegen, der mittlerweile zum renommierten Kulturjournalisten aufgestiegen ist, coram publico als „Muttersöhnchen“ bezeichnet, ein Klient aus der Provinz nervt ihn mit Rechtsstreitigkeiten rund um die Gefühle von Gebäuden. Den Höhepunkt der Demütigung bildet Mutters Entscheidung, die Kanzlei zu verkaufen, statt sie ihrem Sohn zu überschreiben.
Wie und auf welche Weise es schließlich zur „Entführung der Anna Netrebko“ kommt, sei an dieser Stelle nicht verraten. Der Weg dorthin bietet jedoch einen unterhaltsamen Einblick in familiäre Abhängigkeiten, bürgerliches Kunst- und Kulturverständnis und ungewöhnliche Begegnungen im Rotlichtmilieu. Wie sich ein Mann in den eigentlich besten Jahren mit eigentlich besten Voraussetzungen unheilbar verrennen kann, zeigt Günther Freitag mit viel Liebe zum Detail, ohne seinen Protagonisten aber je bloßzustellen. Ein Buch nicht nur für Opernfans und Muttersöhnchen.
Günther Freitag: Die Entführung der Anna Netrebko
Die Mutter ist laut, dick, arrogant und steht als Anwältin in der Öffentlichkeit. Ihren in der Kanzlei niedrige Arbeiten verrichtenden Sohn behandelt sie wie Dreck. Kein Wunder, dass dieser sich in eine Scheinwelt flüchtet. Den Weg dorthin beschreibt Günther Freitag in seinem kunstinnigen wie unterhaltsamen Roman „Die Entführung der Anna Netrebko“, der übrigens kein Krimi ist und auch keine Komödie. Vielmehr schildert der Autor den tristen Alltag eines knapp über 40-jährigen Mannes, den er in der Ich-Form durch das bürgerliche Wien schickt, in dem seine übermächtige Mutter ihn vom Erwachsenwerden ausschließt. Als seine Mutter krankheitshalber kürzertreten muss, überlässt sie den Sohn für einige Wochen sich selbst. Durch einen Zufall lernt er eine junge Chorsopranistin der Staatsoper kennen. Parallel dazu entdeckt er eine CD von Anna Netrebko, in die er sich augenblicklich verliebt. Nach und nach wird seine Opern-Affinität zur Besessenheit, Tagtraum und Wirklichkeit verschwimmen immer mehr. Da hat der Anwalt alle Hände voll zu tun, seine Geheimnisse zu bewahren. Freitag bietet einen unterhaltsamen Einblick in familiäre Abhängigkeiten, bürgerliches Kunst-und Kulturverständnis und ungewöhnliche Begegnungen im Rotlichtmilieu. Wie sich ein Mann in den eigentlich besten Jahren mit eigentlich besten Voraussetzungen unheilbar verrennen kann, zeigt der Autor mit viel Liebe zum Detail, ohne seinen Protagonisten je bloßzustellen.
Aus der Provinz an das Licht einer breiten Öffentlichkeit
Der Leobener Günther Freitag hat einen neuen Roman im Wieser-Verlag veröffentlicht.
LEOBEN. „Obwohl Mama Verdi und Puccini über alles liebt und keine Premiere in der Staatsoper versäumt, ist sie ein ausgemachtes Ekel. Mit einer entsetzlichen Stimme, der die leisen Töne fremd sind …“: So beginnt Günther Freitags neuer Roman „Die Entführung der Anna Netrebko“.
Seit 35 Jahren versucht sich der Leobener Gymnasialprofessor als Schriftsteller. Mit großem Erfolg. Mittlerweile sind es zwölf Bücher, die er herausgegeben hat. Anfangs im Literaturverlag Droschl, seit 2006 ist er Autor für den Wieser Verlag. „Brendels Fantasie“ (2009) wurde auf Englisch und sogar Japanisch übersetzt und hat Freitags Werke einem internationalen Leserkreis eröffnet.
Die Welt der Oper
Doch zurück zum neuen Buch, „Die Entführung der Anna Netrebko“: Mama ist eine erfolgreiche Anwältin, die Politiker und Manager verteidigt, sie ist skrupellos, machtgierig und ebenso herrschsüchtig wie gefühlskalt. Kein Wunder, dass der Sohn der geborene Verlierer ist, erzogen von Gouvernanten und später im Internat bei den Benediktinern. Die erste ernstzunehmende Freundin hat Mama sofort in die Flucht geschlagen, und auch sonst lässt sie keine Gelegenheit aus, ihren Sohn zu demütigen.
Ich bin ein Virtuose in Niederlagen“, sagt dieser von sich selbst. Jetzt ist er Mitte Vierzig und ebenfalls Anwalt in Mamas Kanzlei, zuständig für die kleinen, uninteressanten Fälle. Diesen Klienten widmet sich der Sohn mit großer Aufmerksamkeit und ist auch durch deren Verrücktheiten nicht aus der Fassung zu bringen. Wie Valentin Siebenklar, Architekt und Stadtbaumeister i.R., der sich in einer Provinzstadt um das Seelenleben von Gebäuden kümmert und daher zwangspensioniert wurde, oder dessen Neffe Jakob, ein Hypochonder, der einen musikalischen Pudel namens Karajan täglich spazieren führt und ihm im Kaffeehaus Sachertorte mit Schlagobers servieren lässt.
Flucht in eine Traumwelt
Es ist der scharfe Blick dieses Erniedrigten und Beleidigten auf seine skurrilen Klienten und der grimmige Humor, mit dem er sein Leben reflektiert, der bisweilen an Thomas Bernhard denken lässt.
Dieses Leben ändert sich an dem Tag, als seine Mutter durch einen Infarkt für längere Zeit im wahrsten Sinn des Wortes außer Gefecht gesetzt wird. Der Sohn ändert sein Outfit und sein Auftreten in der Kanzlei. Auch beschließt er, der Verehrung seiner Mutter für Tenöre wie Jonas Kaufmann einen Sopran entgegen zu setzen – und verliebt sich unsterblich in Anna Netrebko. Diese Liebe ist so heftig, dass unser Held mehr in seiner Traumwelt denn in der Realität lebt …
Der Autor Günther Freitag nimmt in diesem Roman nicht nur die Musikbesessenheit mancher Zeitgenossen gnadenlos aufs Korn, er liefert auch treffliche Psychogramme von Siegern und Verlierern, von Phantasten und von Idealisten – ebenso schräg und witzig wie berührend.
Ein großes (und treffendes) Kompliment kommt vom Kulturressort des Kölner Stadtanzeigers: „Günther Freitag verdient es, aus den Winkeln der steiermärkischen Provinz ans Licht einer breiten literarischen Öffentlichkeit geholt zu werden.“
„Die Entführung der Anna Netrebko“
Auf welche Weise es zur Entführung der Operndiva im Roman von Günther Freitag (Verlag Wieser) kommt, sei nicht verraten. Der Weg dorthin bietet jedoch einen unterhaltsamen Einblick in familiäre Abhängigkeiten, bürgerliches Kulturverständnis und Begegnungen im Rotlichtmilieu.
Die erfolgreiche Anwältin unterdrückt ihren Sohn. Er, der Ich-Erzähler, spielt in ihrer Kanzlei eine inferiore Rolle. Erst, als er sich auf die Welt der opernbesessenen Mutter einlässt, gelingt ihm der Befreiungsschlag. Schräg, witzig, berührend.
Die Entführung der Anna Netrebko
Soeben ist als zwölftes Buch der neue Roman des ersten Leobener Kulturpreisträgers Günther Freitag bei Wieser erschienen „Die Entführung der Anna Netrebko“ stellt eine problematische Mutter-Sohn-Beziehung in den Mittelpunkt. Die Mutter des IchErzählers, eine erfolgreiche Anwältin, unterdrückt ihren Sohn, in seiner Schwäche ein leichtes Opfer ihrer Machtspiele. Während sie medienwirksame Prozesse führt, muss er sich mit obskuren Klienten abmühen und findet zu keinem eigenen Leben. Schon allein deshalb nicht, weil ihn seine Fälle immer wieder tief in die Scheinwelten von Fantasten und notorischen Querulanten reißen, deren Klagen sie von ihrer misslungenen Existenz ablenken. Aufgewachsen ohne Vater und erzogen in Internaten, spielt der Sohn eine lächerliche Rolle in der Kanzlei der opernbesessenen Mutter, die auch sein Sexualleben so lange hemmt, bis er sich selbst auf die Musik einlässt. Er beginnt eine Beziehung mit einer Sopranistin des Staatsopernchors, nachdem er Anna Netrebko gesehen hat, setzt der orgiastischen Tenorverehrung der Mutter seine Faszination entgegen, vermengt dabei aber notgedrungen immer stärker die Identität seiner Geliebten mit jener seiner Anna.
„Obwohl Mama Verdi und Puccini über alles liebt und keine Premiere in der Staatsoper versäumt, ist sie ein ausgemachtes Ekel. Mit einer entsetzlichen Stimme, der die leisen Töne fremd sind …“ So beginnt Günther Freitags grandioser Roman „Die Entführung der Anna Netrebko“.
Mama ist eine erfolgreiche Anwältin, die Politiker und Manager verteidigt, sie ist skrupellos, machtgierig und ebenso herrschsüchtig wie gefühlskalt. Kein Wunder, dass der Sohn der geborene Verlierer ist, erzogen von Gouvernanten und später im Internat bei den Benediktinern. Die erste ernstzunehmende Freundin hat Mama sofort in die Flucht geschlagen, und auch sonst lässt sie keine Gelegenheit aus, ihren Sohn zu demütigen. „Ich bin ein Virtuose in Niederlagen“, sagt dieser von sich selbst.
Jetzt ist er Mitte Vierzig und ebenfalls Anwalt in Mamas Kanzlei, zuständig für die kleinen, uninteressanten Fälle. Diesen Klienten widmet sich der Sohn mit großer Aufmerksamkeit und ist auch durch deren Verrücktheiten nicht aus der Fassung zu bringen – wie Valentin Siebenklar, Architekt und Stadtbaumeister i.R., der sich in einer Provinzstadt um das Seelenleben von Gebäuden kümmert und daher zwangspensioniert wurde, oder dessen Neffe Jakob, ein Hypochonder, der einen musikalischen Pudel namens Karajan täglich spazieren führt und ihm im Kaffeehaus Sachertorte mit Schlagobers servieren lässt.
Es ist der scharfe Blick dieses Erniedrigten und Beleidigten auf seine skurrilen Klienten und der grimmige Humor, mit der er sein Leben reflektiert, der bisweilen an Thomas Bernhard denken lässt.
Dieses Leben ändert sich an dem Tag, als seine Mutter durch einen Infarkt für längere Zeit im wahrsten Sinn des Wortes außer Gefecht gesetzt wird – der Sohn ändert sein Outfit und sein Auftreten in der Kanzlei. Auch beschließt er, der Verehrung seiner Mutter für Tenöre wie Jonas Kaufmann einen Sopran entgegen zu setzen – und verliebt sich unsterblich in Anna Netrebko. Diese Liebe ist so heftig, dass unser Held mehr in seiner Traumwelt denn in der Realität lebt …
Günther Freitag nimmt in diesem Roman nicht nur die Musikbesessenheit mancher Zeitgenossen gnadenlos aufs Korn, er liefert auch treffliche Psychogramme von Siegern und Verlierern, von Phantasten und von Idealisten – ebenso schräg und witzig wie berührend.
Café Olympia
(Februar 2013)
Nach dem Roman „Brendels Fantasie“, mit dem Elke Heidenreich ihre Musikbücher-Edition bei C. Bertelsmann begann, versammelt Günther Freitags Prosaband „Café Olympia“ Texte und Fotos zur aktuellen Lage Griechenlands. Im Zentrum der Miniaturen stehen reale Figuren, die unter dem Einfluss der allgegenwärtigen Krise rasch eine absurde Wandlung erfahren, die als Spiegelbild des für weite Bevölkerungsschichten unheilvollen Zusammenspiels von rücksichtslosen Finanzmärkten, korrupter Politik und der Verantwortungslosigkeit des Einzelnen fungiert.
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag: 140 Seiten
Verlag: Wieser Verlag
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe: ISBN: 978-3-99029-049-1
Bestellung: Amazon
Rezensionen
Europa blickt gespannt nach Griechenland: Die Wirtschafts- und die Finanzkrise haben das Land an den Rand des Staatsbankrotts gebracht. Der steirische Autor Günther Freitag ist ein exzellenter Griechenland–Kenner: Er verbringt seit über 30 Jahren mehrere Wochen im Jahr in Griechenland. Seit Beginn der Wirtschaftskrise schrieb Freitag Miniaturen und Charakterskizzen, die er unter dem Titel „Cafe Olympia“ zusammengefasst hat und die nun bei Wieser erschienen sind.
Günter Encic, ORF
Brendels Fantasie
Fast beneide ich diesen Höller! Ja, er ist krank, ja, er ist verrückt, aber welche Leidenschaft treibt ihn! Nur wer brennt, lebt.
Elke Heidenreich
(August 2009)
Weil er bald sterben wird, will Höller endlich seinen größten Traum verwirklichen. Also lässt er sein Leben an der Seite einer Staranwältin hinter sich, verkauft seine Fabrik und bricht in die Toskana auf. Hier soll Alfred Brendel für ihn die endgültige Interpretation von Schuberts »Wandererfantasie« spielen. Der merkwürdige Fremde, der zuweilen mit einem Handtuch um seinen schmerzenden Kopf gewickelt Gemeindesäle besichtigt, sich unter den Hinkenden und Zahnlosen im Altenheim von Castelnuovo Saaldiener aussucht und in dem Provinznest eine Konzerthalle errichten will, stößt bei den Einheimischen auf Befremden. Doch anstatt dem Tod wenigstens in Gedanken zu entkommen, begegnet Höller ihm auf Schritt und Tritt – in Form skurriler Gestalten und bizarrer Begebenheiten. Schließlich muss er erkennen – es gibt kein Entrinnen, weder vor dem Tod noch vor dem eigenen Leben …
Die meisterhafte Schilderung einer Obsession – subtil, komisch und stilistisch meisterhaft erzählt.
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag: 192 Seiten
Verlag: Edition Elke Heidenreich
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe: ISBN: 978-3-570-58003-5
ebook: ISBN: 978-3-641-03679-9
Bestellung: Amazon | Auch als ebook erhältlich
Rezensionen
Der ferne Klang
Würde man dieses Buch nach seinem Cover beurteilen, dann wäre man schnell fertig damit. Eine toskanische Landschaft, durch den orange-transparenten Schutzumschlag in ein verschwommenes Abendlicht getaucht, dazu die verschnörkelte Schrift für den Autornamen – schlimmer kann es nur noch im Arztroman- oder im Horrorgenre zugehen. Doch dieser zum Auftakt der neuen „Edition Elke Heidenreich“ bei C. Bertelsmann erschienene Roman des 1952 geborenen Österreichers Günther Freitag ist kein eindeutiger Fall. Erzählt wird die sehr düstere Geschichte einer ideé fixe im Angesicht des nahen Todes: Der reiche deutsche Fabrikant Höller ist an einem Hirntumor erkrankt und weiß, dass seine Tage gezählt sind. Als Abschluss seines Lebens will sich Höller, dessen Leben bis dato der Herstellung von Autoteilen gewidmet war, einen Traum erfüllen und die ideale Interpretation von Schuberts „Wandererfantasie“ erleben. Niemand Geringerer als Alfred Brendel soll dafür gewonnen werden, ein exklusives Konzert im toskanischen Örtchen Castelnuovo zu geben, das der besessene Höller als den perfekten, im Grunde einzig möglichen Ort dafür ausgemacht hat. Durch den Verkauf seiner Fabrik mit unbegrenzten Mitteln ausgestattet, will Höller vor Ort den Aufbau einer geeigneten Konzerthalle in die Wege leiten. Während seine Krankheit fortschreitet und das Projekt zunehmend wahnhafte Züge annimmt (so hat etwa Brendel selbst sich bislang zu dem Plan gar nicht geäußert), wird Höller in undurchsichtige lokale Geschäfte hineingezogen, bei denen die Einheimischen seine verständliche Ungeduld schamlos ausnutzen und dem Fremden zugleich mit wachsendem Misstrauen begegnen. Das elegische Todesbuch entfaltet in einer einfachen, ungekünstelten Sprache doch einen starken Sog, der die Vereinsamung und den Realitätsverlust des Sterbenden nachvollziehbar macht. Nebenfiguren setzt Freitag nicht nach Maßgabe des erzählerischen Realismus, sondern wie wiederkehrende musikalische Motive ein. Deutliche Anklänge an Thomas Manns „Tod in Venedig“, an Thomas Bernhard und Gert Jonke oder auch an Walter Kappachers „Fliegenpalast“ machen das Buch nicht epigonal. Es ist eher eine Variation über ein Thema: die Unmöglichkeit eines restlos gelingenden Lebens, die vergebliche Suche nach Vollkommenheit, für die die Chimäre der idealen Interpretation steht. (Günther Freitag: „Brendels Fantasie“. Roman. Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann, München 2009. 190 S., geb., 18,95 [Euro].) rik
Wo du nicht bist, ist das Glück
Der Tod und die Musik: Günther Freitags Roman „Brendels Fantasie”
Vor etwa einem Jahr erklärte der Pianist Alfred Brendel seinen Abschied vom Konzertpodium. Obgleich Brendel ihn in Interviews nonchalant, ja geradezu heiter zu erläutern wusste, hat sein Entschluss manchen, der Musik liebt, traurig gestimmt – denn Brendel war, wie sich nun nur noch an Aufnahmen nachvollziehen lässt, als Pianist eine Klasse für sich. So darf dies Ereignis ernst genommen werden, und Günther Freitag hat den schönen Einfall gehabt, eine Geschichte daraus zu machen. Es ist die Geschichte des Fabrikanten Höller. Höller ist sich darüber im Klaren, dass er nur noch ein kurzes Leben vor sich hat. Doch dies kurze Leben soll ihm noch einen Wunsch abgelten: die definitive Aufführung der Klavierfantasie in C-Dur D. 760 von Franz Schubert, der Wandererfantasie, für ihn gespielt von Alfred Brendel. Dies Vorhaben, und damit die Idee künstlerischer Vollkommenheit, sucht Höller gegen seine Familie durchzusetzen; immerhin hat er von Rechts wegen Zugriff auf deren wichtigstes Besitzstück: er verkauft seine Fabrik.
Von nun an treibt Höller nur noch das Brendel-Schubert-Projekt – es treibt ihn, während er es in der Toskana betreibt. Für die perfekte Interpretation soll ein neuer Konzertsaal entstehen. Alle praktischen Ambitionen aber treten in den Dienst einer intensiven Imagination. Höller fantasiert Brendel – „Mit geschlossenen Augen liegt er auf der Couch und stellt sich Brendel am Flügel vor” –; insofern tut sich unter Freitags Romantitel ein doppelter Boden auf. Es bleibt bei der Fantasie – nicht der Schuberts, sondern der Höllers: am Ende kommt ihm der Zeitungsartikel in die Hände – Brendel wird nicht mehr spielen. Oder wäre das nicht gerade Schuberts Fantasie? Denn der letzte Vers von Schmidt von Lübecks Gedicht „Der Wanderer” lautet ja: „Da, wo du nicht bist, ist das Glück”. Es ist ein Glück, das im Tod von Unglück nicht mehr zu unterscheiden wäre.
Günther Freitag hat eine Geschichte erfunden, die einen Roman tragen könnte. Das ist viel. Genug ist es nicht. Diese Geschichte, im Horizont des Todes, hätte einer lakonischen Sprache bedurft, in der Dinge und Situationen für sich sprechen und der Erzähler hinter sie zurücktritt. Diese Sprache hat Freitag nicht gefunden, und wohl nicht einmal gesucht. Statt die Dinge schlicht zu schildern, wie sie sind, meint er dem Leser Urteile aufdrängen zu müssen. So beginnt es auf der ersten Seite – „kitschige Aquarelle”, „Laden, dessen Auslage vollgestopft ist mit ekelhaft geschmacklosen Keramiken” –, und so hält es sich durch, bis zum letzten Satz: „eine unheimliche Stille”.
Freitag beherrscht nicht die Kunst, eine Stille so Sprache werden zu lassen, dass dem Leser unheimlich wird. Er kann Leser lediglich informieren, dass eine Stille „unheimlich” war. Bloß mitzuteilen, etwas sei „ekelhaft” gewesen, ist erzählerisch schwach. So legt sich Geschwätz über Schuberts Klavierton, einen Ton am Rande des Verstummens.
Andreas Dorschel
Traum eines Todkranken
Für die Erfüllung seinen letzten Wunsches lässt ein Unternehmer alles hinter sich – „Brendels Fantasie“ von Günther Freitag
Der Begriff „Fantasie“ ist in Günther Freitags Roman mehrdeutig: Zum einen ist damit Schuberts so genannte „Wandererfantasie“ gemeint, die – so will es der Unternehmer Höller – der als Schubert-Interpret berühmte österreichisch-britische Pianist Alfred Brendel einer letzten, zeitlos gültigen Interpretation zuführen wird. Diese Idee aber ist ihrerseits eine Fantasie, ausgebrütet in Höllers buchstäblich krankem Kopf. Der Mann – saturiert in den 50ern stehend – bekommt eines Tages die infauste Diagnose „inoperabler Hirntumor“ gestellt. Die Ärzte geben ihm noch ein paar Monate, wie viele, ist unklar. Höller freilich merkt an sich selbst, dass es nicht mehr lange dauern wird: Rasende und sich steigernde Kopfschmerzen muss er durch eine stetig erhöhte Schmerzmittel-Dosis niederringen.
Nicht besonders gut motiviert
Unter diesen Ausnahmebedingungen, angesichts dieser todbringenden Krankheit, entgrenzt sich schon mal das Wahrnehmungsfeld, rutschen Tagträume und Erinnerungen, auch Halluzinationen an die Stelle „normaler“ Alltagserfahrung. Aber mit der Normalität hat es der zum Tod verurteilte Unternehmer eh nicht mehr. In Castelnuovo, einem schäbigen toskanischen Kaff in der Nähe von Siena, lässt sich der Musikenthusiast provisorisch nieder, um den besagten ultimativen Brendel-Auftritt vorzubereiten. Er verhandelt mit einem obskuren ortsansässigen Anwalt, er finanziert die Asphaltierung einer maroden Straße, will das Gemeindehaus zugunsten einer neu zu bauenden Konzerthalle niederreißen lassen. Unter den Einheimischen, die das Treiben des spinnerten, aber offensichtlich potenten Fremden amüsiert-misstrauisch verfolgen, sucht er schon mal potenzielle Saaldiener aus und schickt sie zum Frisör.
Besonders gut motiviert ist das alles sicher nicht: Woher die Schnapsidee, warum Brendel, warum das alles in der Toskana? – der Leser hat es einfach hinzunehmen. Dass es die „Wandererfantasie“ sein soll, ist schon eher nachvollziehbar: Sie geht auf ein Lied zurück, dessen zentrale Zeilen lauten: „Die Sonne dünkt mich hier so kalt/, Die Blüte welk, das Leben alt/, Und was sie reden: leerer Schall, -/ Ich bin ein Fremdling überall.“ Das ist in der Tat so ungefähr das Lebensgefühl des Protagonisten, dem seine Krankheit bewusst macht, was er wahrscheinlich längst schon weiß: dass er aus allen konventionellen Bezügen herausgefallen ist. Aus der Firma, die er verkauft, vor allem aber aus seiner Familie (Frau, Sohn, Tochter), aus der er sich genervt zurückzieht.
Selbstredend wird nichts aus dem abstrusen Vorhaben: Die an Brendel in London geschickten Einladungsschreiben werden nicht beantwortet, und als Höller aus der Zeitung erfährt, dass der Pianist das öffentliche Klavierspielen drangibt (so geschehen im vergangenen Jahr), ist dies das definitive Ende, in jeder Hinsicht.
Letztlich geht es in Freitags Buch um den Versuch eines Menschen, seinem verlöschenden Leben im Angesicht des Außerordentlichen noch einmal eine letzte intensive Erfahrung abzuringen. Das wird eindringlich dargestellt, und wenn der Leser sich an thematisch verwandte Literatur erinnert fühlte – von Thomas Manns „Tod in Venedig“ bis Louis Begleys „Mistlers Abschied“ -, dann griffe er damit nicht unangemessen hoch.
Spezifische Aura der Dinge
Durch die Rhythmisierung der Erzählung zwischen Rückblenden und von Höller unter den Qualen einer versagenden Physis vorangetriebener Gegenwartshandlung, durch die diskrete Platzierung vorausdeutender Todesmotive, überhaupt durch die spezifische Aura, in der Dinge und Menschen getaucht werden – durch all dies bekommt sie ein ganz eigentümliches Gepräge.
Der Roman erscheint in der neuen Edition Elke Heidenreich bei Bertelsmann, in der die in Köln lebende Autorin, Kritikerin, Moderatorin und Opernlibrettistin musikaffine Bücher herausgibt – aus dem belletristischen wie aus dem Sachbuchbereich. Mit Freitags Buch hat sie einen guten Empfehlungsgriff getan: Der Verfasser verdient es, aus den Winkeln der steiermärkischen Provinz, wo er im Hauptberuf als Mittelschullehrer arbeitet, ans Licht einer breiten literarischen Öffentlichkeit geholt zu werden.
Zwei Bemerkungen zum Schluss: Zweifellos hat Freitag (mindestens) ein Exemplar seines Buches auch an Alfred Brendel in London geschickt. Und Brendel wird diesmal auch geantwortet haben. Interessant zu erfahren wäre, wie der Pianist auf seine literarische Gestaltwerdung reagiert. Wenngleich der Brendel des Romans ein Brendel der Fantasie ist – durch welche Verkehrung erneut die ironische Hintergründigkeit des Titels erwiesen wäre.
Markus Schwering
Der Roman „Brendels Fantasie“ beschert dem obersteirischen Autor Günther Freitag einen kräftigen Rezeptionsschub
Es ist kein alltäglicher Karriereverlauf, wenn es einem Autor nach zweieinhalb Jahrzehnten Publikationstätigkeit in kleineren und mittelgroßen österreichischen Editionen, wie kitab oder Droschl, gelingt, ein Buch in einem großen deutschen Belletristikverlag herauszubringen. Der 57-jährige Prosadichter Günther Freitag, der in Leoben als Gymnasiallehrer arbeitet, schaffte nun den Sprung ins Haus Bertelsmann über eine von Starkritikerin Elke Heidenreich betreute Buchreihe, die solche Texte im Visier hat, die – auf welche Weise auch immer – Musik thematisieren. Damit ist gerade jenes Metier benannt, in dem sich Freitag seit seinem Debüt „Kopfmusik“ (1984) mit Vorliebe bewegt.
In seinem zehnten Buch erzählt Freitag von der Musikbegeisterung eines österreichischen Unternehmers namens Höller, der von einem inoperablen Gehirntumor befallen ist und nur mehr wenige Monate zu leben hat. Mit dem Veräußerungserlös seiner Firma will er die ultimative Aufführung von Schuberts „Wandererfantasie“ durch Alfred Brendel ermöglichen. Während Armin Thurnher in seinem ebenfalls kürzlich erschienenen Brendel-Roman „Der Übergänger“ das Augenmerk ganz auf die Persönlichkeit des Pianisten legt, fungiert dieser bei Freitag als Fluchtpunkt von Höllers Fantasie, dessen Grundbefindlichkeit jener in Schuberts „Wanderer“-Lied ähnelt, in dem es heißt: „Ich bin ein Fremdling überall.“ Längst hat Höller die soziale Welt hinter sich gelassen: die Gattin, eine skrupellose Anwältin der High Society, ebenso wie den geldgierigen Sohn und die egomanische Tochter.
Den Hauptstrang der Handlung bildet Höllers Suche nach dem für die „Fantasie“ „idealen Ort“, den er im toskanischen Castelnuovo gefunden zu haben glaubt, wo er den Gemeindesaal, einen architektonischen „Mussolinidreck“, abreißen und stattdessen eine Konzerthalle errichten will. Die Kontaktaufnahme zur Lokalpolitik endet im brachialen Rauswurf, und auch die Briefe, die Höller an den Meister nach London schickt, bleiben unbeantwortet. Eine am Ende zitierte Zeitungsmeldung über Brendels Rücktritt von der Konzertbühne zerschmettert den Traum.
Die Beharrlichkeit und Ausschließlichkeit von Höllers Anstrengung gemahnen an die Obsession verschiedener Romanfiguren Thomas Bernhards wie etwa jener des Pianisten Wertheimer in „Der Untergeher“, der am Genie Glenn Goulds zerbricht. Wenn in Freitags Buch eine „größenwahnsinnige Hoffnung“ oder aus dem Mund eines räsonierenden Professors die Verkommenheit des Staates zur Sprache kommen, wirken solche Sequenzen allerdings wie ein schaler Aufguss Bernhard’scher Übertreibungskunst.
Freilich ist das Objekt der Tiraden in „Brendels Fantasie“ nicht Österreich, sondern Italien, von dem Freitag ein satirisches Sittenbild malt, indem er sein Personal, vom trunksüchtigen Priester bis zur xenophoben Landbevölkerung, klischeehaft überzeichnet. Wenn in Anlehnung an Illustriertenmeldungen von einem Fernfahrer, der sein amputiertes Bein bestatten lässt, oder von einem Bauern, der unter den Tieren und Pflanzen seines Hofs die Demokratie einführt, oder von Hundehoden als Potenz- und Verjüngungsmittel erzählt wird, überzeugt Freitag sowohl als Fabulierer des Skurrilen als auch als Chronist einer infantilisierten Gesellschaft, die in den Medienprodukten des Ministerpräsidenten und vormaligen Barpianisten mit sich identisch zu werden scheint.
Paul Pechmann
Brendel antwortet nicht
Günther Freitag erzählt in „Brendels Fantasie“ die Geschichte einer Obsession. Schwarze, weiße Tasten geben nicht den Ton an, wohl aber das Herantasten an die Thomas-Bernhard-Stimme.
Kaum ist der Klavierdeckel zu, fliegen die Buchdeckel auf. Alfred Brendel, der dem Konzertpodium Ende 2008 definitiv Adieu gesagt hat, betritt das literarische Parkett, und das in neuer Gestalt. Nicht als Autor brillanter Essays, als den man ihn schon lange schätzt und kennt, nicht als ebenso geliebter und gepriesener Lyriker und Aphoristiker – nein, der neue Alfred, der da mit Aplomb erscheint, ist Brendel als literarische Figur. Die Dichtung, scheint es, hat den Pianisten entdeckt und greift vehement nach seinen Frackschößen, kaum dass sie dem Podium entfleucht sind. Auf Armin Thurnhers „Der Übergänger“ folgt Günther Freitag mit „Brendels Fantasie“. Hat die „Verbrendelung“ der Literatur begonnen?
Hier wie da werden die Erzeugnisse der Brendel-Novellistik „Romane“ genannt. Bei Armin Thurnher ist das ein kluger Weg, mit sehr Persönlichem umzugehen. Autobiografisch formuliert hätten seine Brendeliana womöglich den Charakter einer etwas peinlichen Devotionalie angenommen; so aber, im Gewand des „Romans“, wird Thurnhers Verehrung für Brendel elegant im Spielerischen geborgen. Der Vorarlberger Günther Freitag hingegen hat einen Roman im herkömmlichen Sinn geschrieben. Der Autor verschwindet hinter einem Erzähler, der konventionell eine Geschichte mit fiktiven Figuren darbietet. Es treten auf: ein Fabrikant namens Höller, seine Frau, seine Kinder, Herren aus einem italienischen Altersheim, ein Professore und viele andere. Es tritt nicht auf: Alfred Brendel.
Gleichwohl prangt – im Unterschied zu Thurnhers Buch – der Name Brendel auf dem Deckel. Diesen Roman „Brendels Fantasie“ zu nennen, mag ein literarischer Coup sein, ein Kunstkniff der Ironie (über den noch zu sprechen wäre). Ganz sicher aber handelt es sich auch um einen geschickten Zug des Marketings. Der Name Brendel zieht – und das tut auch der von Elke Heidenreich, den der österreichische Autor gleichfalls aufs Cover drucken lassen kann. „Brendels Fantasie“ erschien in der „Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann“.
Die neue Reihe, erklärt Herausgeberin Heidenreich, verbinde „meine beiden Leidenschaften“, nämlich „Musik und Bücher“. Mehr noch verspricht das Signet der Serie, nämlich „Musik in Büchern“. Tatsächlich gibt es im ersten Schwung der Reihe auch einen Essayband von Hans Neuenfels („Wie viel Musik braucht der Mensch?“), ein Buch über Barenboims West-Eastern Divan Orchestra und eine Neuausgabe von Werfels „Verdi“, Bücher also, in denen – unbestritten – Musik steckt. Wie viel Musik aber findet sich in Freitags Romanneuling? Und wie viel Brendel ist in „Brendels Fantasie“? Die Antwort fällt ernüchternd aus. Wo Brendel draufsteht, muss nicht Brendel drin sein, das zeigt sich unumwunden. Und schwerlich wird man diesen Roman als ein Buch über Musik lesen können oder als eines, in dem Musik wirkt, lebt und schwingt, auch wenn darin alles um ein Musikprojekt kreist.
Der Fabrikant Höller – das ist die Essenz der Story – hat nur noch kurze Zeit zu leben; die Zeit aber, die ihm noch bleibt, widmet der Todkranke so exzessiv wie obsessiv einer Idée fixe: Alfred Brendel soll die „endgültige Interpretation“ der Schubertschen Wandererfantasie spielen, und das nicht etwa in einem der berühmten Konzertsäle der Welt, sondern in einem Raum, den Höller eigens dafür zu schaffen gedenkt. Einen Flecken in der Toskana hat Höller dafür ausersehen. Hier und nur hier scheint Höller die endgültige Interpretation möglich – wobei, nebstbei bemerkt, keine Idee dem Wesen der Musik ferner sein könnte als jene einer „endgültigen Interpretation“?
Höller jedenfalls arbeitet fieberhaft daran. Schon hat er vor Ort Stellung bezogen und Dutzende Details geklärt. Was noch fehlt, ist unter anderem Post von Brendel. Der „englische Brief“ mit der erlösenden Zusage aber bleibt aus. Brendel meldet sich nicht. Brendel antwortet nicht. Brendel kommt nicht.
Dass dieser am 18. Dezember in Wien sein allerletztes Konzert gebe, entnimmt Höller zufällig einer Zeitung – das ist die finale Botschaft für den sterbenskranken Brendel-Fan. Ein Fall, könnte man sagen, von tragischer Ironie, wie man auch – mit etwas gutem Willen – den Titel des Buchs ironisch finden könnte. „Brendels Fantasie“ ist nicht die Fantasie, die Brendel hegt und auch nicht jene, die er spielt, sondern einzig und allein jene einer tragikomischen Romangestalt.
Höllers Fantasie macht Alfred Brendel, den Jahrhundertpianisten, zum Phantom. Die Folge ist: Brendel, das Phänomen, gewinnt keine Kontur, ja dieser Roman bleibt selbst die Antwort darauf schuldig, warum sich Höller um alles in der Welt auf Brendel und Schubert kapriziert und nicht etwa auf Pollini und Chopin, auf Maisky und Bachs Cellosuiten oder auf die ultimative Interpretation des Bernhardschen „Theatermachers“ durch Claus Peymann.
Bernhard freilich grüßt ohnehin aus diesem Text, ob nun Höller das Dienstpersonal eines Hotels als „geldgierige Bewirtungsdilettanten“ beschimpft oder der Erzähler einer bernhardianischen Lust an Komposita frönt. Es klingt nun einmal apart, von der „Brendelstimme“ zu fantasieren, von der „Schubertfigur“ und dem „Schubertaussehen“ – und verschleiert den Umstand, dass man nicht viel erfährt von der Stimme Alfred Brendels oder der Figur und dem Aussehen Franz Schuberts, von dessen Innerem ganz zu schweigen.
Was bleibt, ist die gut erzählte Geschichte einer Obsession. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Es ist ein Leichtes, den Namen Brendel auf einen Buchdeckel zu drucken. Aber die Musik zwischen zwei Buchdeckel zu bringen, das ist und bleibt verdammt schwer.
Joachim Reiber
A musical end to a life
Höller, a successful manufacturer and Schubert enthusiast in his fifties, has been diagnosed with a terminal brain tumour, leaving him eighteen months to live. Without telling his wife and family of the diagnosis he resolves to sell his business to the Russians and use the proceeds to fulfil his dream of creating the perfect conditions for Alfred Brendel to record the definitive performance of Schubert’s ‘Wanderer Fantasy’. He writes to Brendl with his suggestion and goes on holiday to Italy, ostensibly to recover from exhaustion, but in reality to find the perfect venue for the recording. He settles on the small Tuscan town of Castelnuovo and starts to make detailed plans for the project but without divulging his true intentions to anybody in the area.
He encounters a succession of stumbling-blocks, mainly in the form of a motley collection of bizarre and grotesque characters, providing the novel with a rich vein of black comedy, but such is Höller’s obsession that he is wilfully blind to the resentment and resistance quietly developing among the locals, and he finds ingenious ways of circumventing the hindrances, convinced he will be tolerated as an eccentric foreigner. Feeling abandoned and misunderstood by his successful barrister wife and two adult children, who believe that the sale of the business and the ‘Brendel project’ are merely a mid-life, irresponsible whim, and with no response forthcoming from Brendel, he presses on regardless.
His stout Italian landlady, his world-weary fellow boarder the Professor, the drunken priest Don Cesare, the crew of goatish old men from the retirement home whom Höller confidently expects to transform into attendants for his concert hall, the dwarf Gesualdo who is the mayor’s righthand man, and the mysterious boy with his offers of help people the pages. The story gathers pace to its startling climatic chords, which meld the likely and predictable with the outlandish and unexpected, and there is a poignancy in the madcap scheme and expression of a man wresting back control from his malignant fate.
An interplay of light and dark, comic and tragic, a gleeful skewering of modern manners, preoccupations and lifestyles, surreal flights of narrative are interspersed with moments of emotional insight, lyrical description and scabrous comedy. A brilliant depiction of the human capacity for delusion in a spellbinding read. Will Herr Brendel agree?
Günther Freitag hat den Roman einer verzweifelten Obsession geschrieben
Das Schöne an diesem Roman ist, dass Günther Freitag die Vorstellung einer idealen Aufführung eines Musikstücks mit dem sehr genauen Blick auf die realen Eigenheiten und Probleme der italienischen Gesellschaft kontrastiert.
Eine mit sehr leichter Hand geschriebene Geschichte, die auf der einen Seite von der Kraft der Musik und der Phantasie erzählt und auf der anderen Seite aber auch ein kleines Sittengemälde der aktuellen italienischen Gesellschaft zeichnet.
Martin Grunenberg
Buchtipp: Günther Freitag: „Brendels Fantasie“
Günther Freitags Protagonist Höller ist ein virtuoser Musikkenner und leidenschaftlich in seinem Streben nach dem reinen Klang. Wie ein Besessener macht er sich an sein spätes Lebenswerk, rennt atemlos gegen die Zeit an, reißt alle beruflichen und familiären Brücken nieder, investiert Unsummen in scheinbar notwendige Vorbereitungsarbeiten. Die Dorfbewohner der italienischen Idealkulisse können allerdings weder mit Schubert, Brendel noch mit der Wandererfantasie etwas anfangen und verstehen schon gar nicht, warum sie eine Nebenstraße asphaltieren oder ihr Gemeindehaus niederreißen sollten. Eine Konzerthalle? Für die seltenen Folkloreabende? Für eine Fantasie? Höller entwickelt einen immer skurrileren Aktionismus, vermittelt naiv zwischen Sprachen, Orten, zwischen Welten und Weltanschauungen. Doch die universelle Sprache der Musik versagt in den winzigen Dorfgässchen, verstummt zwischen den alten Mauern, auf den ungeteerten, schlammigen Wegen der Weinberge – der idealen Kulisse für „Brendels Fantasie“.
Dagmara Dzierzan
Ja, langweilig ist das ganz bestimmt nicht! Hier rennt einer vor dem Tod, vor dem Sterben davon und flüchtet in die Musik.
Denis Scheck
Höllers Luftschloss mit Brendel platzt wie eine Seifenblase. Oder –Günther Freitag lässt das bewusst in der Schwebe – platz dem kranken Höller zum Schluss gar der Kopf. Aber vielleicht ist das alles ja nur ein schlechter Traum gewesen. Aus weiter ferne jedenfalls wähnt Höller die letzten Takte der Wandererfantasie zu vernehmen. Man könnte diesen skurrilen Roman, der ja explizit Alfred Brendels Namen schon im Titel führt, auch als Requiem auf den großen gefeierten Pianisten lesen. Freitag hat eine Musikhörer-Passionsgeschichte geschrieben.
Richard Schroetter
Warten auf Brendels Antwort
Skurrile Phantasien über einen gänzlich abwesenden Pianisten
Von Gerhard Dietel
„Ich hatte immer das Gefühl, ich spiele aus freien Stücken. Und jetzt höre ich aus freien Stücken auf.“ Mit diesen Worten vollzog der Pianist Alfred Brendel im vergangenen Jahr seinen Rückzug vom Konzertpodium, will jedoch der Öffentlichkeit erhalten bleiben und dabei seine zweite Neigung zur Literatur kultivieren.
Orte endgültiger Interpretation
Brendel, der schon mit Büchern über Musik, aber auch mit Gedichten als Autor an die Öffentlichkeit trat, ist darüber hinaus nun selbst zur Titelfigur eines Romans geworden. „Brendels Fantasie“ überschreibt der österreichische Autor Günther Freitag sein Buch, in dem der berühmte österreichische Pianist die – wenn auch wie Becketts „Godot“ abwesende – Zentralfigur bildet.
Die äußere Szene beherrscht ein Brendel-Bewunderer: der Fabrikant Höller, der auf seine letzten Tage zum Aussteiger wird. Einen inoperablen Gehirntumor hat man ihm diagnostiziert, und im Angesicht des nahen Todes wird ihm das bisherige Leben nichtig: Den letzten Funken Lebenssinn zieht er aus der Klaviermusik Schuberts. Eine Obsession ergreift Besitz von ihm: „Für jedes Kunstwerk existiert der ideale Ort, an dem es präsentiert werden kann.“ Im Falle von Schuberts „Wanderer-Fantasie“ ist Castelnuovo bei Siena für Höller der auserkorene Ort und Alfred Brendel der einzig mögliche Pianist für ihre „endgültige Interpretation“, die dort angesichts der musikalischen Kennerschaft der ganzen Welt spektakulär in Szene gesetzt werden soll.
Jeden Tag: Wo bleibt die Post?
Skurrile Züge entwickelt, was Höller plant und unternimmt, um sein Hirngespinst zu realisieren, dieweil er von Tag zu Tag vergeblich auf dem Postamt des Orts die zustimmende Antwort Alfred Brendels erwartet. In der Schwebe bleibt, was Realität ist, was nur noch Fieberträume eines Menschen, dessen Wirklichkeitssinn längst durch zunehmend höher dosierte Schmerzmittel getrübt ist.
Franz Kafka und Thomas Bernhard scheinen die literarischen Paten von Günther Freitags Roman, der allerdings weder so unheimlich noch so schwarzgallig wirkt wie oft deren Prosa, sondern – vielleicht noch mit einem Schuss Herbert Rosendorfer angereichert – leicht komponiert ist und flüssig serviert wird.
Große Leidenschaft
Ein origineller Beitrag aus der von Bertelsmann herausgegebenen Edition Elke Heidenreich ist Günther Freitags Roman «Brendels Fantasie». Fabrikant Höller sieht das Ende nahen und hat nur einen einzigen Wunsch, dem er alles andere unterordnet: Alfred Brendel soll für ihn Schuberts «Wandererfantasie» spielen. Dafür verlässt er Frau und Firma und errichtet in einem Kaff in der Toskana einen Konzertsaal. Ein Panoptikum skurriler Gestalten!
Jens Voskamp
Brendel und Schubert
Der gebürtige Vorarlberger Günther Freitag erzählt in seinem Buch „Brendels Fantasie“ eine eindringliche Geschichte.
Mit vier Titeln beginnt Elke Heidenreich ihre schön aufgemachte Edition beim Verlag Bertelsmann, in der sie ihre „beiden Leidenschaften“, Musik und Buch, verbinden will. Mit Günther Freitag und seinem eindringlichen Roman „Brendels Fantasie“ taucht man ein in die Vorstellungswelt eines Kranken. Ein Tumor hat sich im Kopf seines Protagonisten, des Fabrikanten Höller, eingenistet, dazu aber auch eine fixe Idee: Alfred Brendel, der große österreichische Pianist, soll für ihn die endgültige Interpretation von Schuberts „Wanderer-Fantasie“ spielen.
Zum Entsetzen seiner Gattin verkauft Höller seine Fabrik, löst sich von seiner ihm fremd gewordenen Familie und geht in die Toscana, um den idealen Ort für das einzigartige Konzert zu finden. Die Schmerzen in seinem Kopf überfluten ihn immer mehr, doch Höller lässt nicht ab. Baumaschinen und Akustikspezialisten würde er in Bewegung setzen, um seinen Traum zu erfüllen, die Klänge Schuberts tragen ihn dabei über alle Hindernisse und widrigen Umstände hinweg.
Günther Freitag kennt seinen Schubert und seinen Brendel, und man folgt Höller auf seinen Wegen durch italienischen Bürokratiedschungel, Fieberträume und Begegnungen mit skurrilen Gestalten und immer wieder dem Tod. Im Buch antwortet Alfred Brendel nie auf die hartnäckigen Anfragen seines Fans, wahr aber ist jene Meldung von Brendels Rückzug vom Konzertleben, die Höller endgültig zusammenbrechen lässt.
Katharina von Glasenapp
Große Werke der Musikgeschichte bieten gutes Material für Literaten. Der Vorarlberger Günther Freitag bedient sich nun mit eindrücklichem Erfolg an Schuberts „Wandererfantasie“. Sein Held, der Industrielle Höller, leidet an einem Gehirntumor. Er weiß, dass er nur noch wenige Monate zu leben hat, gibt seine Firma auf und sucht den besten Aufführungsort für Schuberts Werk, um Alfred Brendel zu engagieren. Auf seiner Reise durch Italien findet er diesen Ort. Die Geschichte berührt, nur dann und wann verliert sich Freitag etwas zu sehr in Beschreibungen. Lohnende Lektüre jedenfalls. Edition Elke Heidenreich, € 19,50.
„Ich hatte immer das Gefühl, ich spiele aus freien Stücken. Und jetzt höre ich aus freien Stücken auf.“ Mit diesen Worten kündigte der Pianist Alfred Brendel im vergangenen Jahr seinen Rückzug vom Konzertpodium an und feierte seinen Abschied mit einem Auftritt am 18. Dezember 2008 in Wien. In Vorträgen, Lesungen und Gesprächen will er jedoch der Öffentlichkeit erhalten bleiben und dabei seine zweite Neigung zur Literatur kultivieren. Brendel, der bereits mit Büchern über Musik, aber auch mit Gedichten als Autor an die Öffentlichkeit trat, ist darüber hinaus nun selbst zur Titelfigur eines Romans geworden. „Brendels Fantasie“ überschreibt der österreichische Autor Günther Freitag sein vergnüglich zu lesendes Buch, in dem der berühmte österreichische Pianist die – wenn auch wie Becketts Godot abwesende – Zentralfigur bildet.
Die äußere Szene beherrscht derweil ein Brendel-Bewunderer: der Fabrikant Höller, der auf seine letzten Tage zum Aussteiger wird. Einen inoperablen Gehirntumor hat man ihm diagnostiziert, und im Angesicht des nahen Todes scheint ihm das bisherige Leben nichtig: die Firma, seine Frau, die als erfolgreiche Anwältin ohnehin ihre eigenen Wege geht, und die beiden Kinder, der karrieregeile Sohn und die versponnen-unpraktische Tochter werden ihm gleichgültig. Den letzten Funken Lebenssinn zieht er aus der Klaviermusik Schuberts, zu der er sich nun flüchtet.
Eine Obsession ergreift Besitz von ihm: „Für jedes Kunstwerk existiert der ideale Ort, an dem es präsentiert werden kann.“ Im Falle von Schuberts „Wanderer-Fantasie“ ist Castelnuovo bei Siena für Höller der auserkorene Ort und Alfred Brendel der einzig mögliche Pianist für ihre „endgültige Interpretation“, die dort in Anwesenheit der musikalischen Kennerschaft der ganzen Welt spektakulär in Szene gesetzt werden soll.
Skurrile Züge entwickelt, was Höller plant und unternimmt, um sein Hirngespinst zu realisieren. Den Abriss und Neubau des Gemeindehauses möchte er durchsetzen („in diesem Mussolinibau würde Brendel niemals spielen“), eine Straße lässt er auf eigene Kosten teeren, und voreilig beginnt er, die lemurenhaften Bewohner eines Altersheimes als Saaldiener für den großen Auftritt zu verpflichten, dieweil er von Tag zu Tag vergeblich auf dem Postamt des Orts die zustimmende Antwort Alfred Brendels erwartet.
In der Schwebe bleibt, was Realität ist, was nur noch Fieberträume eines Menschen, dessen Wirklichkeitssinn längst durch zunehmend höher dosierte Schmerzmittel getrübt ist. Franz Kafka und Thomas Bernhard scheinen die literarischen Paten von Günther Freitags Roman, der allerdings weder so unheimlich noch so schwarzgallig wirkt wie oft deren Prosa, sondern – vielleicht noch mit einem Schuss Herbert Rosendorfer angereichert – leicht komponiert ist, sodass man ihn gerne in einem Zug durchliest.
Gerhard Dietel
„Fast beneide ich diesen Höller! Ja, er ist krank, ja, er ist verrückt, aber welche Leidenschaft treibt ihn! Nur wer brennt, lebt“: Das sagt Elke Heidenreich über den Helden dieses Romans, der sie so entflammt hat, dass sie ihn einfach in ihre neue Edition aufnehmen musste. Eine Edition, die Elke Heidenreichs Liebe zur Literatur mit ihrer Liebe zur Musik vereint. Und wenn der österreichische Autor Günther Freitag in „Brendels Fantasie“ über Musik schreibt, dann geht es wirklich um die ganz großen Gefühle. Denn Fabrikant Höller hat einen unheilbaren Hirntumor und nur noch ein Ziel: Pianist Alfred Brendel soll für ihn die endgültige Interpretation von Schuberts „Wandererfantasie“ spielen. In der Toskana, koste es, was es wolle. Höller verscherbelt seine Fabrik und damit das Erbe von Frau und Kindern, die nichts von seinem Hirngespinst hören wollen, und geht auf in seinem Projekt – bis Worte und Töne, das Erzählte und der Klang meisterhaft verschmelzen.
Angela Wittmann
Freiflug
Elke Heidenreichs neue Musik-Roman-Edition
Wenn die Musik abkadenziert und fertig ist, beginnt der freie Flug der Phantasie. An dieser Schnittstelle entstand der Musiker-Roman. Und zwar vor ungefähr 180 Jahren, im Zeitalter der Industrialisierung. Brauchen wir aber heute, wo an jeder Straßenecke etwas summt und swingt und säuselt und die Musik nie fertig ist, noch neue Musiker-Romane?
Keiner anderen Kunst falle „das Beweisen so schwer als der musikalischen“, klagte Robert Schumann (der es aber trotzdem immer wieder versucht hat). Beim Schreiben über Musik gehe „der Verstand an der Krücke Sprache“, notierte etwa zur selben Zeit Adolf Bernhard Marx (erster Beethoven-Biograph und „Erfinder“ der musikalischen Formenlehre). Vom „Geisterreich des Unendlichen“, das uns von Beethoven aufgeschlossen werde, schwärmte E.T.A. Hoffmann, dessen Kapellmeister Johannes Kreisler zur Blaupause wurde für unzählige weitere Musiker-Romane: herrlich Identifikatorisch-Revolutionäres darunter, wie der wüste „Verdi“-Roman von Franz Werfel, aber auch abscheulich süßer, reaktionärer Quark wie „Schwammerl“ von Rudolf Hans Bartsch. Gewiss ist ein Musiker-Roman kein Sachbuch, es darf ruhig alles falsch sein, was darin behauptet wird. Aber er ist auch keine Oper, von der Giuseppe Verdi mal sehr schön meinte, sie erfinde sich die Wahrheiten, was auf jeden Fall besser sei, als sie nachzubilden.
In der „Edition Elke Heidenreich“ bei C. Bertelsmann kommen am Dienstag die vier ersten Musikbücher heraus. Zwölf Musiktitel sollen es künftig jährlich werden, Altes und Neues, freier Flug und Kadenz, alles durcheinander, die erste Lieferung enthält auch gleich zwei Musiker-Romane: Werfels „Verdi“ (440 Seiten, 22,95 Euro), neu aufgelegt mit einem Vorwort von Verdi-Regisseur Hans Neuenfels, der außerdem selbst einen zauberhaft brauchbaren Sammelband beisteuert zur Heidenreich-Edition mit seinen verstreuten Programmbuch-Notizen (250 Seiten, 21,95 Euro).
Dazu, neu, „Brendels Fantasie“ von Günther Freitag (192 Seiten, 19,50 Euro). Der Roman erzählt von einem todkranken Mann, der sich wünscht, noch einmal zu hören, wie Alfred Brendel Schuberts „Wandererfantasie“ spielt.
Als er in der Zeitung liest, dass Brendel aufhören will zu konzertieren, stirbt er. Der Tod kommt mit Licht und Musik, die Krankheit heißt Krebs, der Mann ist Industrieller, seine Ehefrau gefühlskalt, die Kinder sind missraten, die Flucht aus der schnöden Ekelwelt führt natürlich in die Toskana. Und so weiter. Sollte das etwa eine Musiker-Roman-Karikatur sein? Aber dann tun sich mitten zwischen diesen leblos Karussell fahrenden Wort-Krücken plötzlich Inseln auf. Nebenschauplätze: ein Mord, der keiner ist, ein Schriftstück, das beschließt, sich selbst zu vernichten, und der Putzfrau vor die Füße fällt, Gewitter, Spuk, Ironie, Träume. Alles wild romantisch und ernst gemeint.
Eleonore Büning
Zwar steht der entscheidende Brief aus England noch aus, doch die Vorbereitungen für die Fantasie sind in vollem Gange. Der Unternehmer Höller hat den idealen Ort für die Aufführung von Franz Schuberts „Wandererfantasien“ gefunden: Das kleine Örtchen Castelnuovo in der Toskana bietet die besten Rahmenbedingungen für das anspruchsvolle Werk des eigenwilligen Komponisten. Es kommt nur selten zur Aufführung und soll nun von dem herausragenden Pianisten Alfred Brendel interpretiert werden. Höller ist todkrank, doch die ihm verbleibende Zeit nutzt er mit Konsequenz. Die Straße lässt er frisch asphaltieren, sein Anzug hängt maßgeschneidert bereit, die künftigen Saaldiener aus dem Altenheim werden sorgsamst geschult, und der Neubau des Gemeindesaales ist nur noch eine Frage der Zeit. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Auch an die Überführung des sensiblen Bösendorfer Konzertflügels aus Wien ist gedacht. Die Finanzierung ist kein Problem, denn Höller verkauft seine Firma gerade an die Russen. Zwar sind alle aus der Familie dagegen – seine Frau, eine Wiener Staranwältin, sein Sohn, ein geldgieriger Karrieremensch, und seine Tochter, eine weltfremde Möchtegernkünstlerin -, doch Höller verfolgt sein Ziel unbeirrt: Alfred Brendel wird aus England nach Castelnuovo kommen und die Fantasie spielen!
Der Druck in Brendels Kopf nimmt zu, die Aussicht auf das grandiose Konzert aber beflügelt den Todkranken. Alles andere wird unwichtig angesichts der Fantasie. Schmerzen und Schwäche, Vorurteile und Vorschriften, falsche Anschuldigungen und andere Hindernisse gilt es zu überwinden, rasch und effizient. Medikamente, Überzeugungskraft und Geld machen fast alles möglich. Rückschläge fordern den Musikbesessenen erst recht heraus. Nichts wird der Fantasie mehr im Wege stehen. Der Brief aus England muss jeden Moment eintreffen …
Günther Freitag erzählt die Geschichte eines Idealisten, der im Angesicht des Todes allen Konventionen trotzt, um seinen Traum zu verwirklichen. Der lakonische Schreibstil macht die bedingungslose Entschlossenheit und glühende Begeisterung Höllers besonders anschaulich. Die Schilderung der örtlichen Gegebenheiten, die Vorstellung der verblüfften Einheimischen bilden den originellen Rahmen einer großen Leidenschaft zur Musik. Faszinierend und mitreißend beleuchtet Freitag Menschenelend und Alltagsglück. Das Gleichnis vom Tod als Luxusgut untermalt dieses fantastisch zuversichtliche Endzeitszenario.
Kathrin Kowarsch
Der unheilbar an einem Gehirntumor erkrankte Fabrikant Höller hat eine Vision: Die ideale Interpretation von Franz Schuberts »Wandererphantasie«. Seinen Wunschpianisten hat er bereits auserkoren; den greisen Alfred Brendel. Nun benötigt er nur noch den idealen Konzertsaal in der idealen Landschaft. Als letztere kommt für Höller einzig die Toskana infrage. Um seinen Traum verwirklichen zu können, verkauft er sein Unternehmen, das Klimaanlagen für Autos produziert, an russische Investoren. Höller bezieht eine Pension in einem kleinen, von der Landwirtschaft geprägten toskanischen Ort, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint und wo er die »Wandererphantasie« aufgeführt haben möchte. Von dort schreibt er regelmäßig Briefe an den in London lebenden Pianisten. Doch erhält Höller nie eine Antwort.
Günther Freitag erzählt in einem nahezu schnörkellosen, angenehmen Stil mitunter von subtilem Humor begleitet, wie ein Mann, der Zeit seines Lebens nach außen ein unauffälliges, ja eigentlich nichtssagendes Leben geführt hat, erkennen muß, daß ihm nur noch kurze Zeit zum Leben bleibt und er bisher nichts von dem getan hat, was ihn wirklich interessierte. Um nicht auch noch die wenigen ihm verbleibenden Monaten ungenutzt verstreichen zu lassen und der Welt nichts anders als ein Unternehmen für Klimaanlagen und seinen Kindern Geld zu hinterlassen, versucht er zielstrebig seinen Traum umzusetzen; die ideale Interpretation seiner geliebten »Wandererphantasie« von Franz Schubert.
Doch wird aus der Suche nach dem passenden Ort immer mehr eine Suche nach sich selbst und eine Bilanz seines bisherigen Lebens an der Seite einer schönen und erfolgreichen Anwältin, mit der er einen Sohn, der nichts anderes als seinen beruflichen Erfolg im Sinn und einer über alle Maßen verwöhnten und launischen Tochter hat. Ehefrau und Kinder interessieren sich jeder auf ihre Weise nur für sich selbst. Höllers Bemühungen, seine Kinder doch noch einigermaßen zu sozialisieren, werden von seiner Frau entschlossen hintertrieben. Höller fehlte Zeit seines Lebens die Kraft, sich gegenüber seiner Frau durchzusetzen. Selbst den Verkauf der Fabrik betreibt er hinter ihrem Rücken und verschweigt seiner Familie seine unheilbare Krankheit.
Aber auch auf der Suche nach dem passenden Aufführungsort für die »Wandererphantasie« tun sich für Höller unerwartete Schwierigkeiten auf. Er begegnet skurrilen Typen, unter anderem einem zwangsweise in den Ruhestand versetzten Lehrer, der zwar als vom Leben Enttäuschter das tagesaktuelle Geschehen bissig kommentiert, aber nichtsdestotrotz den Kern der Probleme illusionslos erfaßt.
Absurde Geschichten die Höller in Zeitungen liest oder ihm erzählt werden, verdeutlichen den Aberwitz des Alltags, nicht nur von dem, in dem sich Höller bewegt.
Höllers Geschichte ist vor allem eine Geschichte des Scheiterns einer großen Idee. Aber eines Scheiterns auf hohem Niveau. Höller läßt sich jedoch durch nichts von seinem Ziel abbringen, versucht die Probleme, die sich ihm stellen so gut als möglich zu lösen.
Höller mag auf seine Umwelt verrückt wirken, doch bleibt seine Umgebung den Beweis schuldig, daß sie nicht verrückt ist. Mitunter drängt sich der Eindruck auf, daß Höller der einzig wirklich »Normale« ist.
Einmal mehr gilt, daß der Weg das Ziel ist, und man nur selbst dem Leben einen Sinn geben kann.
Große Leidenschaft
Ein origineller Beitrag aus der von Bertelsmann herausgegebenen Edition Elke Heidenreich ist Günther Freitags Roman «Brendels Fantasie». Fabrikant Höller sieht das Ende nahen und hat nur einen einzigen Wunsch, dem er alles andere unterordnet: Alfred Brendel soll für ihn Schuberts «Wandererfantasie» spielen. Dafür verlässt er Frau und Firma und errichtet in einem Kaff in der Toskana einen Konzertsaal. Ein Panoptikum skurriler Gestalten!
Ein Sterbender auf der Suche nach der endgültigen Interpretation
Schuberts Wandererfantasie gilt als sein schwierigstes Werk. Für den Industriellen Höller ist nur Alfred Brendel dazu in der Lage, es zu spielen. Doch nicht nur der richtige Pianist ist nötig, auch der Aufführungsort muss passen und für Brendels Wandererfantasie kommt nur die Toskana in Frage. Als Höller erfährt, dass er todkrank ist, will er die perfekte Aufführung inszenieren, er reist in die Toskana und lässt sein altes Leben hinter sich. Er schult alte Männer als Saaldiener ein und versucht, die Stadt davon zu überzeugen, ein geeignetes Konzerthaus zu bauen. Ständig plagen Höller dabei Kopfschmerzen und die hohe Dosis der Schmerzmittel führt zu wirren Träumen. Doch der Bürgermeister kümmert sich nicht um die Fantasie, die Alten sind nur an Potenzmitteln interessiert und Brendel beantwortet keinen von Höllers Briefen.
„Brendels Fantasie“ ist ein Roman über die Jagd nach dem perfekten Kunstwerk, das Kunstwerk selbst ist dabei nebensächlich. Stattdessen folgt Günther Freitag dem getriebenen Moribundus durch das Dorf und lässt ihn über Gott und die Welt jammern. Er mischt kuriose Geschichten von einem pädophilen Priester, der Demokratisierung eines Bauernhofs und gescheiterten Künstlern darunter. Obwohl er dies sehr unterhaltsam tut, verliert Freitag sich häufig in unwichtigen Details. Trotzdem ein sehr amüsantes und leichtes Buch.
Josef Glaser
Höller hört die Fantasie
Der nahe Tod treibt Menschen oft zu den merkwürdigsten Dingen. Martin Walser hat dieses letzte Aufbegehren in seinem Roman „Angstblüte“ beschrieben. Da wird noch einmal exzessiv gelebt, alles über den Haufen geworfen, geliebt, gespielt, gefeiert. Der Unternehmer Höller in „Brendels Fantasie“ ist schon zu krank, um sich durch fremde Betten zu schlafen, sich zu betrinken und zu amüsieren. Zu sehr setzt ihm der Tumor im Schädel zu. Doch er hat einen letzten verwegenen Plan: Er will Alfred Brendel, den österreichischen Ausnahmepianisten, einen der ganz großen Schubert-Interpreten des 20. Jahrhunderts, engagieren, um die „Wandererfantasie“ ein letztes Mal zu spielen – im kleinen Castelnuovo bei Siena.
Der ideale Ort
Höller ist überzeugt: „Zu jedem Kunstwerk existiert der ideale Ort, in dem es präsentiert werden kann“. „Und die Wandererfantasie muss ihre endgültige Interpretation in Castelnuovo erfahren. Eine Aufführung, nach der sie nirgendwo mehr gespielt werden könnte.“ Castelnuovo ist dieser ideale Ort. Über zwei Hügel liegt es hingestreckt, an den Hängen wachsen seit Generationen Rebstöcke. Einzig ein geeigneter Saal fehlt …
Das Projekt wird für Höller zum mentalen Befreiungsschlag. All die kleinen Ideen und Wünsche sind ausgeblendet, nur noch das eine große Ziel bleibt. Seine Firma will er an „die Russen“ verkaufen und mit dem Geld den Gemeindesaal zur Konzertarena umbauen. Doch die Bewohner des Ortes beäugen Höller argwöhnisch. Er gilt als Sonderling – nicht zuletzt, weil er wegen der pochenden Kopfschmerzen mit nassen Kompressen um sein Haupt durch den Ort zieht. Seine Idee versteht niemand so recht, und man vermutet, dass hier bloß ein weiterer Investor einen Reibach machen möchte. Dabei bilden die eigenwilligen Bewohner des Ortes selbst ein skurriles Panoptikum: die resolute Wirtin, die keine Unterhaltungen über Politik duldet; der zwergenhafte, mäßig begabte Anwalt, der Höller ein Haus vermietet; das Bauernpaar, das auf ihrem „demokratischen Hof“ Parlamentssitzungen mit Menschen und Tieren veranstaltet. Allein in dem zynischen Professor für Römisches Recht, den Höller täglich im Café trifft, findet er einen streitbaren Unterstützer.
Die alte Welt hinter sich lassen
Sophie, Höllers Frau und Staranwältin in Frankfurt, begleitet ihn zunächst und macht sich doch vor allem Sorgen, dass er tatsächlich sein Unternehmen verkaufen könnte, wodurch sie und ihre Kinder um ihr Erbe „betrogen“ würden. Lange schon leben Höller und Sophie in getrennten Welten, sind sich fremd geworden. Ohne dass sie einander näher gekommen wären, reist sie schließlich wieder ab, um in einem spektakulären Prozess eine Riege korrupter Politiker zu verteidigen. Und auch die Kinder Clemens und Nathalie taugen nicht als Lichtblicke. Clemens ist ein „berechnender Streber“, ein Karrierist, Nathalie eine weltfremde Träumerin, eine „Realitätsverweigerin“, die jede Menge Geld in dubiosen Kunstprojekten vernichtet. Beide lassen sich luxuriös von den Eltern alimentieren und zeigen kaum eine Gefühlsregung ihnen gegenüber.
Der Tod als Begleiter
Es ist ein mal dumpfer, mal stechender Schmerz im Kopf, der Höller fast niederringt. Nur mit einer hohen Dosis von Schmerz- und Schlafmitteln kann er noch weitermachen. Höller ist ein durch und durch männlicher Patient, der kaum etwas von seiner Krankheit preisgibt und seinen Kampf alleine führt. Der Tod wird zum ständigen Begleiter von Höllers skurriler Passion: bei den Begegnungen mit den Alten, die er als Platzanweiser für das große Konzert gewinnen will, in den Erinnerungsfetzen an Krankenhausbesuche und in seinen Reminiszenzen an Glenn Goulds frühen Tod. Es scheint fast, als spiegele sich seine (Krankheits-)Geschichte in der des Pianisten; auch in dessen Kopf herrschte geradezu ein „Klangüberdruck“, der ein Ventil suchte.
Von der Musik beseelt
Bis zum Ende wartet Höller auf eine Nachricht Brendels, ob er denn das Konzert geben werde, und arbeitet besessen an seinem Plan für das große Konzert – bis eine Zeitungsnotiz seine Welt anhält …
Günther Freitag legt hier eine ganz und gar ungewöhnliche Geschichte vor. Sie erzählt von Entfremdung und überraschender Nähe, Tod und Aufbegehren, Vergänglichkeit und Neubeginn und von einer großen Liebe zur Musik.
Elke Heidenreich, in deren Edition der Band erscheint, zeigt sich beeindruckt vom Helden dieses Romans: „Fast beneide ich diesen Höller! Ja, er ist krank, ja, er ist verrückt, aber welche Leidenschaft treibt ihn! Nur wer brennt, lebt.“
Carsten Hansen, Literaturtest, Berlin, August 2009
„Ich hatte immer das Gefühl, ich spiele aus freien Stücken. Und jetzt höre ich aus freien Stücken auf.“ Mit diesen Worten kündigte der Pianist Alfred Brendel im vergangenen Jahr seinen Rückzug vom Konzertpodium an und feierte seinen Abschied mit einem Auftritt am 18. Dezember 2008 in Wien. In Vorträgen, Lesungen und Gesprächen will er jedoch der Öffentlichkeit erhalten bleiben und dabei seine zweite Neigung zur Literatur kultivieren. Brendel, der bereits mit Büchern über Musik, aber auch mit Gedichten als Autor an die Öffentlichkeit trat, ist darüber hinaus nun selbst zur Titelfigur eines Romans geworden. „Brendels Fantasie“ überschreibt der österreichische Autor Günther Freitag sein vergnüglich zu lesendes Buch, in dem der berühmte österreichische Pianist die – wenn auch wie Becketts Godot abwesende – Zentralfigur bildet.
Die äußere Szene beherrscht derweil ein Brendel-Bewunderer: der Fabrikant Höller, der auf seine letzten Tage zum Aussteiger wird. Einen inoperablen Gehirntumor hat man ihm diagnostiziert, und im Angesicht des nahen Todes scheint ihm das bisherige Leben nichtig: die Firma, seine Frau, die als erfolgreiche Anwältin ohnehin ihre eigenen Wege geht, und die beiden Kinder, der karrieregeile Sohn und die versponnen-unpraktische Tochter werden ihm gleichgültig. Den letzten Funken Lebenssinn zieht er aus der Klaviermusik Schuberts, zu der er sich nun flüchtet.
Eine Obsession ergreift Besitz von ihm: „Für jedes Kunstwerk existiert der ideale Ort, an dem es präsentiert werden kann.“ Im Falle von Schuberts „Wanderer-Fantasie“ ist Castelnuovo bei Siena für Höller der auserkorene Ort und Alfred Brendel der einzig mögliche Pianist für ihre „endgültige Interpretation“, die dort in Anwesenheit der musikalischen Kennerschaft der ganzen Welt spektakulär in Szene gesetzt werden soll.
Skurrile Züge entwickelt, was Höller plant und unternimmt, um sein Hirngespinst zu realisieren. Den Abriss und Neubau des Gemeindehauses möchte er durchsetzen („in diesem Mussolinibau würde Brendel niemals spielen“), eine Straße lässt er auf eigene Kosten teeren, und voreilig beginnt er, die lemurenhaften Bewohner eines Altersheimes als Saaldiener für den großen Auftritt zu verpflichten, dieweil er von Tag zu Tag vergeblich auf dem Postamt des Orts die zustimmende Antwort Alfred Brendels erwartet.
In der Schwebe bleibt, was Realität ist, was nur noch Fieberträume eines Menschen, dessen Wirklichkeitssinn längst durch zunehmend höher dosierte Schmerzmittel getrübt ist. Franz Kafka und Thomas Bernhard scheinen die literarischen Paten von Günther Freitags Roman, der allerdings weder so unheimlich noch so schwarzgallig wirkt wie oft deren Prosa, sondern – vielleicht noch mit einem Schuss Herbert Rosendorfer angereichert – leicht komponiert ist, sodass man ihn gerne in einem Zug durchliest.
Gerhard Dietel
In dem 2009 erschienenen Roman erfährt der reiche Fabrikant Höller, dass er einen inoperablen Gehirntumor hat, somit nicht mehr lange leben wird und entscheidet sich, seinen Lebenstraum zu verwirklichen: der berühmte österreichische Pianist Alfred Brendel soll für ihn Schuberts Wandererfantasie spielen.
Abhalten lässt er sich von nichts und niemanden, zumal er seine Frau, eine Staatsanwältin, seinen Sohn, einen rücksichtslosen Karrieristen und seine lebensuntüchtige Tochter verachtet. Er verkauft zum Entsetzen seiner Familie seine gut gehende Firma und bricht in die Toskana auf.
In Castelnuovo widmet er sich mit brennender Leidenschaft seinem Ziel und wird zum Gesprächsthema der Stadt; er will einen neuen Konzertsaal bauen lassen, lässt den alten Männern des Ortes Bart und Haare schneiden, damit sie würdige Saaldiener werden können und lässt sich auch von rasenden Kopfschmerzen, Schwindelanfällen und einem Mord nicht beirren. Wird er es schaffen?
Freitag schildert subtil und oftmals sehr skurril einen Besessenen im Angesicht des Todes, der diesem ausweichen will, aber dennoch immer wieder auf ihn trifft.
Ein ungewöhnlicher, aber bemerkenswerter Roman.
Martina Hamacher (1/2010)
Große Leidenschaft
Ein origineller Beitrag aus der von Bertelsmann herausgegebenen Edition Elke Heidenreich ist Günther Freitags Roman «Brendels Fantasie». Fabrikant Höller sieht das Ende nahen und hat nur einen einzigen Wunsch, dem er alles andere unterordnet: Alfred Brendel soll für ihn Schuberts «Wandererfantasie» spielen. Dafür verlässt er Frau und Firma und errichtet in einem Kaff in der Toskana einen Konzertsaal. Ein Panoptikum skurriler Gestalten!
Große Leidenschaft
Ein origineller Beitrag aus der von Bertelsmann herausgegebenen Edition Elke Heidenreich ist Günther Freitags Roman «Brendels Fantasie». Fabrikant Höller sieht das Ende nahen und hat nur einen einzigen Wunsch, dem er alles andere unterordnet: Alfred Brendel soll für ihn Schuberts «Wandererfantasie» spielen. Dafür verlässt er Frau und Firma und errichtet in einem Kaff in der Toskana einen Konzertsaal. Ein Panoptikum skurriler Gestalten!
Es sind die leisen Töne! (Günther Freitag „Brendels Fantasie“)
Höller ist schwer krank. Seine Ärzte haben bei ihm einen inoperablen, bösartigen Hirntumor diagnostiziert. Ihm bleiben noch allerhöchstens ein bis zwei Jahre. Auf diese Diagnose hin, beschließt Höller, seinen Lebenstraum zu erfüllen: die perfekte Aufführung der Wanderfantasie von Schubert gespielt vom berühmten Pianisten Alfred Brendel.
Dafür will er das Unternehmen, das er jahrelang erfolgreich aufgebaut hat, an russische Investoren verkaufen. Seine Familie, allen voran seine Frau Sophie, eine ehrgeizige Prozessanwältin, sowie die beiden gemeinsamen Kinder, Clemens den karrieregeilen Sohn und Nathalie, die weltfremde Tochter, lässt er, um sein Projekt nicht zu gefährden, über seinen Gesundheitszustand sowie sein Vorhaben im Unklaren.
Auf der Suche nach dem idealen Aufführungsort verschlägt es Höller nach Italien. In einem malerischen Dorf in der Toskana findet er den perfekten Aufführungsort. Dort in diesem kleinen italienischen Ort richtet er sich ein. Er erkundet das Terrain, legt sich seinen Schlachtplan zurecht und beginnt seine Fäden zu ziehen. Getrieben von seinem Vorhaben beginnt Höller, systematisch die Umgebung zu erforschen und knüpft Kontakte. Er bezieht La Torre, ein Haus in der Gegend, das ihm repräsentativ genug erscheint und von wo er das große Ereignis steuern will.
Der alte Gemeindesaal, beschließt er, müsste natürlich abgerissen werden. Einen neuen Saal, gebaut nach rein akustischen Gesichtspunkten, würde er dem Sindalco, dem Gemeindechef, schon schmackhaft machen können. Den Bösendorfer Flügel aus dem Wiener Musikverein würde er gegen entsprechende Bezahlung herschaffen können. Und auch an der Zusage Brendels, dem er fast täglich nach England telegraphiert, zweifelt er nicht. Er ist sicher, dass diese noch kommen wird.
Gepeinigt von immer stärkeren Kopfschmerzen und zurückgeworfen von einigen unvorhergesehenen Ereignissen, schreitet er unbeirrt voran in seinem Vorhaben. Aus dem örtlichen Altenheim sucht er seine Saaldiener aus. Er lässt die Auffahrt zu La Torre neu asphaltieren. Er beschwichtigt seine Familie zu Hause und schliesst schliesslich sehr zum Missfallen seiner Frau den „Russendeal“, den Verkauf seines Unternehmens ab.
Je mehr er sich bemüht, desto näher kommt man allerdings auch an das Ende seiner Geschichte. Und schliesslich rechnet man schon damit, dass seinem Vorhaben kein Erfolg beschieden sein wird, als er tatsächlich eines Morgens die Zeitung aufschlägt, welche eine Hiobsbotschaft für ihn enthält: Alfred Brendel, der von ihm so sehr verehrte Pianist, hat beschlossen seine Konzertkarriere zu beenden. Insbesondere die Fantasie, ein „athletisch anspruchsvolles Werk“, das er seit mehreren Jahren schon gemieden hatte zu spielen, würde er nie mehr aufführen.
Es ist ein leises, feines Buch über die große Liebe und Leidenschaft im Leben Höllers, die Musik. Es ist kein Buch, das man aufschlägt, um dann Seite um Seite zu verschlingen. Und doch hinterlässt es einen starken Eindruck und eine Bewunderung für Höller, für seinen unbedingten Willen, sich diesen seinen letzten Wunsch noch zu erfüllen.
Es reißt nicht mit, aber es berührt, so kann man es kurz zusammenfassen.
Zwei Leidenschaften hat Elke Heidenreich in ihrer neuen Edition bei Bertelsmann miteinander verbunden: Musik und Bücher. In sehr schöner Aufmachung erscheinen in den nächsten drei Jahren zwölf Bücher – neue und wiederentdeckte Literatur über Musik. Die ersten vier Bände liegen jetzt vor.
Eine Neuerscheinung ist „Brendels Fantasie“ von Günther Freitag, ein ebenso fantastisches wie sinnliches Buch. Seinen verrückten, durch und durch musikleidenschaftlichen Helden Höller, einen Menschen mit einer besonderen Note, schickt Freitag auf eine Reise in die Toskana. Dort soll Alfred Brendel für ihn Schuberts „Wandererfantasie“ spielen. Ein Buch über das Aussteigen, über Lebensträume und den Tod ist der Roman. – Ein verrücktes kleines Meisterwerk.
Günther Freitag: Brendels Fantasie.
Bertelsmann, August 2009.
192 Seiten, Hardcover, 18,95 Euro.
Julia Gaß
Große Leidenschaft
Ein origineller Beitrag aus der von Bertelsmann herausgegebenen Edition Elke Heidenreich ist Günther Freitags Roman «Brendels Fantasie». Fabrikant Höller sieht das Ende nahen und hat nur einen einzigen Wunsch, dem er alles andere unterordnet: Alfred Brendel soll für ihn Schuberts «Wandererfantasie» spielen. Dafür verlässt er Frau und Firma und errichtet in einem Kaff in der Toskana einen Konzertsaal. Ein Panoptikum skurriler Gestalten!
Brendels Fantasie
Weil Höller, der Protagonist des Romans, bald sterben wird, will er sich endlich seinen größten Traum verwirklichen: Er lässt alles hinter sich und bricht in die Toskana auf. Dort soll Alfred Brendel für ihn die endgültige Interpretation von Schuberts „Wanderfantasie“ spielen. Die fulminante Schilderung einer Obsession – subtil, komisch und stilistisch meisterhaft erzählt.
Musikalische Fantasmen
Schon Arthur Schopenhauer sah in der Musik die höchste aller Kunstformen, weil sie die Möglichkeit eröffne, den vom Leid gezeichneten Menschen aus dessen tristen Alltag zu entfliehen. Wenn sie das Individuum aus den Ketten des irdischen Daseins reißt, enthebt sie ihn in einen schier unendlichen Kosmos träumerischer Sehnsüchte. Dass die Musik nicht zuletzt sogar lebenserhaltende Wirkung besitzt, wird in Günther Freitags neustem Roman „Brendels Fantasie“ vorgeführt: Trotz anhaltender Ehemüdigkeit und diagnostiziertem Hirntumor im Endstadium wird der ehemalige Fabrikant Höller des Lebens nicht überdrüssig. Anstatt sich der Welt zu entsagen, flieht er geradezu ehrgeizig in die Lebensbejahung. Einzig der realitätsferne Traum, Schuberts „Wandererfantasie“ mit dem Pianisten Alfred Brendel einmal auf großer Bühne zu inszenieren, treibt ihn unermüdlich an. Höller ist überzeugt: „Die Musik würde den Druck in seinem Kopf auflösen“ und sucht sich ein kleines, italienisches Dorf als Aufführungsort aus. Enttäuscht vom blinden Karriereglauben des Sohnes und der Langeweile in der Beziehung zu seiner Frau, verfolgt er ausschließlich seinen utopischen Plan. Allein dieser sich ständig verfestigende Plan zählt. Doch die äußeren Widerstände entpuppen dessen Passion bald als kulminierenden Wahn. Am Ende scheint Höllers grenzenlos neurotische Leidenschaft alles zu überblenden. Der Abgrund ist tragisch vorgezeichnet. Obwohl Elke Heidenreich mit ihrer neuen Edition zum Thema Musik und Literatur, in der auch Günther Freitags Roman erscheint, um einen Dialog und ein Hinübergreifen der Kunstarten bemüht ist, unterliegt die Geschichte über den leidenschaftlichen Musikliebhaber der melodischen Blässe. Die literarische Botschaft über die vitalisierende Kraft von Musik mag noch erhaben sein. Gleichwohl bleibt der Sprachstil unter der Oberfläche des Konventionellen.
BJÖRN HAYER
Günther Freitag: „Brendels Fantasie“
Nach Armin Thurnher mit »Der Übergänger« hat nunmehr der Vorarlberger Günther Freitag einen Roman über Alfred Brendel geschrieben, den Jahrhundertpianisten, der sich Ende 2008 vom Konzertpodium verabschiedet hat. Er nennt ihn »Brendels Fantasie«. Und eigentlich ist auch schon dieser Titel das einzige am Roman, was mit Alfred Brendel zu tun hat, folgt man Joachim Reiber in der »Presse«.
Erzählt wird – in bernhardscher Manier – die »Geschichte einer Obsession«. Der sterbenskranke Fabrikant Höller wünscht sich von Alfred Brendel die »endgültige Interpretation« der Schubert’schen Wanderfantasie, wofür er in der Toskana eigens einen Aufführungsort geschaffen hat. Doch Alfred Brendel folgt der Einladung Höllers nicht. »›Brendels Fantasie‹ ist nicht die Fantasie, die Brendel hegt und auch nicht jene, die er spielt, sondern einzig und allein jene einer tragikomischen Romangestalt.«
Erschienen ist dieser Roman in der Edition Elke Heidenreich bei Bertelsmann. Die bekannte Literaturkritikerin hat ihren Namen als Reihenherausgeberin für ihre Leidenschaft der Verbindung von »Musik und Bücher« geliehen. Nur dass eben nach der Ansicht des Rezensenten der zugegeben »gut erzählte« Roman nichts mit Musik zu tun hat. »Es ist ein Leichtes, den Namen Brendel auf einen Buchdeckel zu drucken. Aber die Musik zwischen zwei Buchdeckel zu bringen, das ist und bleibt verdammt schwer.« (lmv)
Günther Freitag, Brendels Fantasie
Ein an einem Hirntumor erkrankter Mann wandelt durch seine letzten Lebensmonate wie Don Quijote durch Traum, Wunsch und Wirklichkeit. Der Leser wird mitten in seine Verwirrung katapultiert, Familie oder Freunde bleiben schemenhaft. Auch Zusammenhänge, Beweggründe, Erklärungen sucht man vergeblich. Das Fühlen allein zählt – und die Gewissheit, dass der Tod allem ein Ende setzt.
Bienenkrieg
Über das Buch:
Das Leben des Musikkritikers Haim gerät aus den Fugen, als er einen Gehörsturz erleidet. Die Welt versinkt im Bienensurren, das seinen Kopf erfüllt. Er musss seinen Alltag neu gestalten, auch deshalb, weil er, der Querulant und Querdenker, wegen seines Handicaps aus der Kulturredaktion in den Lokalteil der Zeitung abgeschoben werden soll. Um dem zu entkommen, nimmt Haim eine Stelle als „Gesellschaftsdame“ zweier verbitterter Schwestern an. Mit ihnen taucht er in eine absurde Welt aus Lebenslügen und enttäuschten Hoffnungen ein.
Aus dem Buch:
Als Haim schweigt und aus Verlegenheit damit beginnt, an seinem Hörgerät zu hantieren, grinst der Hutfabrikant und meint, dieser Morgen sei ein glücklicher für Haim, denn er trete seinen Dienst als Gesellschaftsdame an und könne dazu noch sein löchriges Allgemeinwissen erweitern. Das, wofür die meisten Menschen Geld ausgeben und Volksbildungskurse besuchen müssten, werde ihm während seiner Arbeitszeit auf dem Silbertablett serviert. Dann befiehlt er dem Schäfer, ein paar Meter entfernt zu sitzen, je weniger Mitwisser er in dieser speziellen Angelegenheit habe, desto sicherer sei das Unternehmen. Haim werde ja nicht die Hand beißen, die ihn füttere, aber bei einem Hund wisse man niemals wirklich, woran man sei. Immer wieder höre man von Fällen, in denen ein Tier von einem Augenblick zum nächsten seine Dressur vergesse und zum schärfsten Feind seines Herrn werde. In dieser Hinsicht sehe er keinen Unterschied zwischen der Haustierhaltung und der Weltpolitik, womit er nun endlich in Südamerika angekommen sei.
Gebundene Ausgabe: 250 Seiten
Wieser Verlag (10. September 2008)
ISBN-10: 3851297970
ISBN-13: 978-3851297973
Größe: 19,6 x 12,2 x 2,6 cm
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Rezensionen
Günther Freitag: „Bienenkrieg“.
Ein seltsames Buch über einen jungen Mann, der zwei zerstrittene, alte Schwestern unterhalten muss. Höchst vergnüglich.
Elke Heidenreich im Format
Günther Freitag vereint in seinem jüngsten Roman „Bienenkrieg“ eine ebenso poetische wie anschauliche Schilderung, wie es jemandem ergeht, der von einem Tag auf den anderen sein Gehör verliert, mit seinem Hang zu skurrilen Figuren und obskuren Lebenswegen. Und so bietet „Bienenkrieg“ ein genussvolles Leseerlebnis, das zum Nachdenken genauso verführt wie zum Schmunzeln.
Barbara Belic, ORF
Gehörloser Musikkritiker bewirbt sich als Anstandsdame
Mittwoch Abend las Günther Freitag im MuseumsCenter Leoben vor zahlreichem Publikum aus seinem neuen Buch mit dem Titel „Bienenkrieg”. Haim, die Hauptfigur, leidet unter einem Gehörsturz und muss deshalb ein Hörgerät tragen. Was den Protagonisten doppelt hart trifft, denn er war Musikkritiker für Zeitungen. War deshalb, weil er aufgrund seines Handicaps zum Lokalreporter in der Redaktion, in der er arbeitet, degradiert wurde.
Im weiteren Verlauf gestattet der Autor Haims Leben zu beobachten. Er bewirbt sich etwa bei einem Hutfabrikanten als Anstandsdame. Seine Aufgabe wäre es, sich um die beiden Schwestern des Arbeitgebers, die er liebevoll Fußbeschwerer nennt, zu kümmern. Wie Haim diese Situationen erlebt, hat durchwegs Komisches und Detailgetreues.
Ein Buch voller Ansichten, Erfahrungen und Anschauungen eines Mannes, dem das Leben ein Schnippchen geschlagen hat. Einfallsreich und lebhaft geschrieben präsentiert sich Freitags jüngstes Werk, das bald im Handel erhältlich sein wird.
Thomas Kovacsics
Piazza. Trieste
(2005)
Angesiedelt in Triest, einem traditionellen Schnittpunkt europäischer Kulturen, erzählt Piazza. Trieste von den aussichtslosen Versuchen Reinhard Kordas, sich der übermächtigen Mutter zu entziehen. Diese stürzen ihn jedoch nur tiefer in die Abhängigkeit und finden ihr sprachliches Finale in einem Brief an die Mutter. Der Historiker Korda erlebt Geschichte, Kunst und Politik aus mehreren Jahrhunderten durch den Kontakt zu mitunter irreal anmutenden Figuren, die von einer Karikatur Maria Theresias über Erzherzog Maximilian bis Umberto Saba und Claudio Magris reichen.
Gebundene Ausgabe: 295 Seiten
Verlag: Wieser (5. Oktober 2006)
ISBN-10: 3851296044
ISBN-13: 978-3851296044
Größe: 19,2 x 12,6 x 2,8 cm
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Rezensionen
Die Gespenster auf der Piazza Trieste
Triest ist eine Stadt in unserer Nachbarschaft, die alle zu kennen glauben, die aber kaum einer als das kennt, was sie auch ist: als ein Treffpunkt von Gespenstern. Das sieht auch der aus Vorarlberg stammende und in Leoben lebende Schriftsteller Günther Freitag: In seinem Roman „Piazza Trieste“ (erschienen im Wieser Verlag) erzählt er von den aberwitzigen Versuchen des Historikers Reinhard Korda, in der Wissenschaft Fuß zu fassen und sich seiner übermächtigen Mutter zu entziehen. Dabei erscheinen Korda die diversen, regelmäßig in Triest auftretenden Gespenster Maria Theresia, der unglückselige, als Kurzzeitkaiser in Mexiko zu Tode gekommene Erzherzog Maximilian, der Dichter Umberto Saba und, kurioserweise, weil noch überaus lebend, der Schriftsteller und Historiker Claudio Magris.
Eine Flucht nach Triest
Der gebürtige Feldkircher Autor Günther Freitag liest heute im Foyer des Kornmarkttheaters aus seinem aktuellen Roman „Piazza.Trieste“.
VON BRIGITTE KOMPATSCHER
Er ist auf der Flucht, der österreichische Historiker Reinhard Korda, der, nach desaströsen Aufenthalten in Würzburg und auf einer Insel, mittlerweile in Triest angelangt, dem Nachtportier seines Hotels mitten in der Nacht aus seinem Leben erzählt – in Brocken, unzusammenhängend, hastig.
In „Piazza.Trieste“, seinem aktuellen Roman, zeichnet der 1952 in Feldkirch geborene und seit langem in der Steiermark lebende Günther Freitag das nicht unspannende Psychogramm eines Mannes, der als das unfähige Produkt der zerstörerischen Allmacht seiner Mutter dargestellt wird, ständig auf der (vergeblichen) Flucht vor ihr, vor ihm selber und wohl vor dem ganzen Leben ist. Es gelingt ihm nicht, beruflich Fuß zu fassen, es gelingt ihm nicht, sein finanzielles Überleben ohne den Scheck der Mutter zu sichern, es gelingt ihm nicht, trotz vieler Kilometer räumlicher Distanz (sie ist in Wien, um sich um ihre geerbten Hernalser Mietshäuser zu kümmern, von denen die beiden leben), eine emotionale Trennung zu vollziehen, ihren alles überlagernden und vereinnahmenden Schatten abzuwerfen. Vielmehr begleiten ihn seine Kindheits- und Jugenderlebnisse oder vielmehr Traumata bis in die Gegenwart, bleibt das einstige Außenseitertum durch die Jahrzehnte sein ständiger Begleiter, ist die Mutter permanent omnipräsent.
In diesem seelischen Kosmos bzw. Gefängnis bewegt sich Korda durch Triest, zieht, als er kein Geld mehr hat, beim Nachtportier und dessen Mutter, einer ehemaligen Partisanin ein, lernt die Schwestern eines berühmten Autors und Senators kennen (dessen Züge an Claudio Magris erinnern) und erlebt die Ausbreitung der dicken österreichischen Kaufhauskönigin Marie-Thérès (auch hier dürfte der Namen nicht zufällig gewählt sein).
Günther Freitag entwirft in „Piazza.Trieste“ ein buntes Kaleidoskop kulturgeschichtlicher Splitter voller surrealer und satirischer Momente und stellt eine Unmenge an Bezügen her – manchmal auch ein wenig zu viel des Guten, sodass die an sich handlungsarme Geschichte teilweise überladen und überfrachtet wirkt. Dennoch verfolgt man recht gespannt den Weg dieses Mannes, dem das Versagen immanent zu sein scheint. Bis zum endgültigen Scheitern aber passieren einige skurrile Dinge, die einer gwissen Komik nicht entbehren.
Lesung Günther Freitag: „Piazza.Trieste.“ Heute, 20 Uhr, Foyer Kornmarkttheater Bregenz.
Günther Freitag: Piazza. Trieste. Wieser Verlag 2006, 296 Seiten, 18.80 Euro.
Was sagt die Mama denn dazu?
Ganz schön in die Klemme setzt der Vorarlberger Günther Freitag seine Helden.
Reinhard Korda ist Historiker und ein Muttersöhnchen. Das
zwar wider Willen, was nicht viel an der Tatsache ändert, dass von einem bereits erfolgten Lösungsprozess kein Wort verloren werden kann. Und diesen relativ erfolglosen Durchschnittsmenschen steckt der Feldkircher Autor Günther Freitag nun in seinem aktuellen Roman “ Piazza Trieste“ in ein derartiges Geschichts- und Kulturenchaos, dass an ein Happy End gar nicht zu denken ist. In der Patsche
Reinhard Korda ist Historiker, hat seine Antrittsvorlesung an der
Würzburger Universität nach allen Regeln der Kunst versemmelt, ist nach Triest gereist, hält hier den streunenden Hunden und Katzen Vorträge über das Diadochenreich und textet mehr oder weniger wachen Nachtportieren die Ohren zu. Und dann ist da noch die Mutter.
Günther Freitag schickt seinen “ Helden“ durch so einige Schlamassel. Immer mehr aber entpuppt er sich dabei als der Mensch, dem der Anzug seiner Wunschvorstellungen eine Nummer zu groß ist. Von Mutterfiguren verfolgt, werden Kordas Schwächen immer sichtbarer, bis dies schließlich in der Weigerung gipfelt, sich mit und in der Realität zu arrangieren. So wird die Vergangenheit zur Gegenwart, die Toten zu Lebenden.
Hintergründig
Noch eines: Günther Freitag stellt seinen Roman in ein literarisches Netzwerk. Was für Kafka der Vater, ist Freitags Korda die Mutter. Nicht umsonst lässt Freitag Korda einen “ Brief an die Mutter“ schreiben.
“ Piazza Trieste“ ist ein grotesker Roman, dessen Humor über
kleinere Schwächen hinwegsehen lässt. Und übrigens, wer Günther Freitag live erleben will, der sollte sich am 7. März im Bregenzer
Kornmarkttheater einfinden.
Günther Freitag: „Piazza Trieste“, Wieser Verlag, Klagenfurt 2006; Günther Freitag liest am 7. März, 20 Uhr, im Foyer des
Kornmarkttheaters Bregenz aus seinem neuen Roman.
Köstliche Schwächen
Günther Freitag erzählt die Triester Erlebnisse eines Versagers.
Unwillkürlich werden die Leserin und der Leser an Thomas Bernhard erinnert. In drei Romanen („Das Kalkwerk“,“Korrektur“ und „Beton“) schildert jener den vergeblichen Versuch eines „Geistesmenschen“ eine Studie niederzuschreiben. Wie bei Bernhard wird in Günther Freitags „Piazza. Trieste“ in indirekter Rede erzählt. Die zentrale Figur des Romans, ein slowenischer Nachtportier im ersten Hotel am Platz, berichtet die Geschichte seines Versagens. Er ergeht sich nicht in Wien-, sondern Würzburg-Beschimpfungen, wehrt sich verzweifelt gegen den Wunsch seiner hausbacken- dominanten Mutter, die Verwaltung der Hernalser Miethäuser zu übernehmen und die Geschichte Geschichte sein zu lassen. Freilich ist Günther Freitag nicht Thomas Bernhard und sein Anti-Held Reinhard Korda kein „Geistesmensch“.
Korda landet nach einem Desaster von Antrittsvorlesung in Würzburg und dem „korfiotischen Chaos“, wo er seinen Vortrag vor wilden Katzen und streunenden Hunden übt, ihm aber die Universität abhanden kommt, in Triest, wo er hofft, noch einmal Fuß fassen zu können. In zunehmender Verzweiflung und Verwirrung begegnet er mit de Hafenstadt verbundenen historischen Persönlichkeiten, zumeist Schriftstellern.
Nichts als Lächerlichkeit
Souverän lässt Freitag ein Netz an Intertextualität entstehen, in dem neben den italienischen Autoren Roberto Bazlen, Ermanno Cavazzoni, Roberto Cotroneo, Umberto Saba und Alberto Savinio vor allem Claudio Magris und Franz Kafka eine wichtige Rolle spielen. Köstlich, wie die fiktive Magris-Schwester Claudia (bei Paul Esterházy das alter ego Claudios) Reinhard Korda in den Galaanzug des berühmten Professors steckt, in dem seine Schwächen erst recht zum Ausdruck kommen. Immer wieder probiert er Kontakt zur Universität zu bekommen, geht er ein mögliches Vorstellungsgespräch durch, versucht er seine Vorlesung über die Diadochenkämpfe zu verbessern. Von all diesen Versuchen bleibt nichts als Lächerlichkeit.
Aus dem Hotel vor den Nachforschungen der Mutter, auf deren Geld er angewiesen ist, in die winzige Wohnung des Nachtportiers geflohen, wird er hier durch dessen nicht weniger dominante Mutter, die durch die Ereignisse während des Zweiten Weltkrieges schwerst traumatisiert wurde, mit der maßlosen Grausamkeit der jüngeren Geschichte konfrontiert.
Allerdings verbindet ihn mit dieser Frau die Unfähigkeit, sich in der Realität zu arrangieren, oder anders gesagt die Fähigkeit, verstorbene Personen als Lebende zu treffen. Eine Gruppe rechtsradikaler Jugendlicher verdeutlicht, dass Totes (oder Totgewünschtes) recht lebendig in der Gegenwartsrealität Platz hat.
Brief an die Mutter
Höhepunkt der Groteske ist das Projekt „Teatro dei Gatto“, bei dem er sich für den nicht künstlerischen Bereich zuständig fühlt, und für das er noch einmal die Unterstützung der Mutter braucht. Er schreibt einen „Brief an die Mutter“ (der wörtlich Kafkas berühmtem Vaterbrief folgt). „Nach den Enttäuschungen mit der Geschichte hat er durch Zufall eine neue Aufgabe gefunden, in die er sich mit aller Kraft gestürzt hat. Das hätte die Mutter doch aus seinem Brief herauslesen können […] Aber für sie zählen bloß die Hernalser Häuser, zu denen vielleicht noch weitere in der Donaustadt dazugekommen sind.“
Nichts zu grotesk
Piazza. Trieste offenbart einen Autor, dem nichts zu grotesk ist, und der einen Humor zur Verfügung hat, der den Lesern auch über einzelne schwächere Passagen hinweghilft. Das Lektorat hätte vielleicht die Anlehnung an Bernhard etwas entschärfen sollen, allerdings entschädigen einzelne Abschnitte, etwa die subtilen Variationen über Zeitungsberichte, die wirklich gelungen sind, für die allzu plakativen Bernhard-Modifikationen
Die Mosaike von Ravenna
(2005)
Die Mosaike von Ravenna versammelt Essays, in deren Zentrum das Lesen und das Reisen stehen und die Erfahrungen, die sich nach ihnen einstellen. Texte, die sich mit Literatur, Film, Fotografie und Politik auseinandersetzen, deren Bewegung immer wieder an den Ausgangspunkt ihrer Reise zurückführt: in die Texte. Zum eigenen Schreiben wie zu dem europäischer Autoren. So rekurrieren die Essays unter anderem auf die Werke Andrea De Carlos, Antonio Tabucchis, Daniele Del Giudices, Stefano Bennis, Roberto Bazlens, Wolfgang Bauers und Ismail Kadares. Bodo Kirchhoff, Renato P. Arlati und den Fotoarbeiten Manfred Paukers sind eigene Essays gewidmet.
Die Suche nach dem langsamen Blick wird der Schnelllebigkeit und den Momentaufnahmen entgegengesetzt: Nur in seinen Brüchen kann der Text existieren. Das Land vom Meer aus gesehen. Es sei ein gutes Verfahren, sich den Dingen zu nähern und dabei ständig zu messen, wie weit man von ihnen entfernt sei.
Broschiert: 168 Seiten
Verlag: Kitab; Auflage: 1 (1. Januar 2005)
ISBN-10: 3902005327
ISBN-13: 978-3902005328
Größe: 20,4 x 13 x 1,6 cm
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Rezensionen
Günther Freitag, der sich vergangenes Jahr nach ängerer literarischer Abwesenheit mit dem Roman „Flusswiner“ zurückgemeldet hat, legt nun einen Band mit Essays aus den letzten 20 Jahren vor. Die meisten von ihnen sind zuvor in anderen Publikationen, in den „manuskripten“ vor allem, aber auch in der Anthologie „Film ab“ der edition kürbis erschienen. Ganz neu ist nur der Text „Onkel Jožas Motorrad“. Aus der Sammlung gelungener Texte ragt „Kafka im Lunapark. Cavazzoni-Variationen“ heraus. Ausgehend von Ermanno Cavazzonis „vite brevi di idioti“ („Kurze Lebensläufe der Idioten“, Wagenbach 1994). Hier ist ein längeres Textbeispiel notwendig, denn die Gedankengirlanden, welche Freitag durch die Kopfräume des Lesers spannt, sind, was sie sind und es ist unmöglich, in einer Umund Beschreibung ihre Qualität auch nur annähernd zu benennen: „Ein Malermeister trank Mitte Februar eine Büchse Lackverdünner und starb einen Tag später im Krankenhaus. Er hatte sich eingebildet, dass seine Frau, während er anderswo Wohnungen anstrich, zu Hause regelmäßig andere Männer empfing. Nachdem er Mitte März einen Liter Motoröl getrunken hatte, starb ein Mechanikermeister im Krankenhaus. Er hatte sich eingeredet, dass es seine Frau, während er Autos reparierte, in seiner Wohnung mit einem Malermeister trieb. Er wusste nicht, dass der Malermeister schon im Februar eine Büchse Lackverdünner getrunken hatte und im selben Krankenhaus gestorben war.
Ein Apotheker starb Mitte April in einem Krankenhaus, nachdem er einige Packungen eines starken Herzmedikaments und ein Röhrchen Schlaftabletten geschluckt hatte. Er glaubte, seine Frau unterhalte Beziehungen zu einem Malermeister und zum Besitzer einer Autowerkstatt, die sich abwechselnd mit ihr durch sein Ehebett wälzten, während er in der Apotheke stand und seine Kunden bediente …“
Der Band „Die Mosaike von Ravenna“ versammelt 11 geistreiche und gleichzeitig unterhaltsame Texte des 1952 geborenen, in Leoben lebenden Autors.
Bücherschau 03/2005, Mike Markart
Die Mosaike von Ravenna
Vom Leobener Autor Günther Freitag, der erst letztes Jahr den Roman „Flusswinter“ veröffentlicht hat, ist jetzt ein neues Buch erschienen. „Die Mosaike von Ravenna“ versammelt Prosaskizzen, Erzählungen und Essays, in deren Zentrum das Lesen und das Reisen stehen.
Texte aus 20 Jahren
Der größte Teil der Texte wurde schon einmal veröffentlicht: in den „manuskripten“, aber auch in der „edition kürbis“ oder der Schweizer Zeitschrift „du“. Ganz neu ist nur „Onkel Jozas Motorrad“, ein Text, der geprägt ist durch die Erinnerungen des Autors an seine slowenische Verwandtschaft und seine Lektüre slowenischer Literatur.
„Mein persönlichstes Buch“
„Das ist mit Bestimmtheit mein persönlichstes Buch, weil es auf meine eigenen Erfahrungen zurückgeht. Ausgangspunkt für die Texte waren meine Reisen, meine Lektüre oder die Bekanntschaft mit anderen Autoren“, sagt der Autor.
Altes Thema, neue Sprache
Der älteste Text des Bandes, „Diese kalte Nacht“, ist eine Neufassung von „13 Variationen über Hölderlin“, der 1984 in Günther Freitags erstem Erzählband „Kopfmusik“ erschienen ist.
Was veranlasst einen Autor, einen 20 Jahre alten Text völlig zu überarbeiten? „Das Thema interessiert mich noch immer, aber meine Sprache hat sich verändert, die alte Sprache kommt mir heute manieristisch vor“, sagt Freitag.
Sammeln und Schreiben
Günther Freitag ist ein Notizen-Sammler. Um sich hinzusetzen und aus dem Berg von Notizen einen Text zu machen, braucht er fast immer einen Anlass von außen, etwa eine neue politische Situation oder eine Reise.
Barbara Belic
Flusswinter
(2004)
Seit der großen Veränderung ist auch die Landschaft eine andere geworden. Hat ihr Gesicht gewechselt. Wie ein Schauspieler. Der Landstrich am Fluss, früher die fruchtbare Au und geschützt, entvölkert sich von Woche zu Woche mehr. Ohne Aufsehen verschwinden Menschen. Bleiben untergetaucht ohne Nachricht für die Zurückgebliebenen. Und schüren die Vermutungen. Die sich im dichten Nebel verlaufen. Gerüchte, halblaut ausgesprochen an Wirtshaustischen. Tonlos beinahe und hinter vorgehaltener Hand. Nebelsätze. Gegen die Angt. Dann sprechen die Menschen von anderen Dingen und trinken ein paar Gläser von dem sauren Wein, der auf den Hügeln wächst … Die Große Veränderung hat das Land am Fluss in die Diktatur gestürzt und mit dem Denken auch die Sprache der Menschen verzerrt. Bespitzelung und Denunziation bestimmen ihr Leben, vor allem aber die Angst, schuldlos zu Opfern zu werden.
Aus vier ineinander greifenden Perspektiven schreibt Günther Freitag eine Parabel der Niedertracht, in welcher die Menschen vorführen, dass sie unter dem autoritären Druck nicht zueinander finden, sondern ohne Rücksicht auf ihren Vorteil bedacht sind.
Taschenbuch: 189 Seiten
Verlag: Kitab Verlag; Auflage: 1 (April 2004)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3902005300
ISBN-13: 978-3902005304
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Rezensionen
Günther Freitag, der sich vergangenes Jahr nach ängerer literarischer Abwesenheit mit dem Roman „Flusswiner“ zurückgemeldet hat, legt nun einen Band mit Essays aus den letzten 20 Jahren vor. Die meisten von ihnen sind zuvor in anderen Publikationen, in den „manuskripten“ vor allem, aber auch in der Anthologie „Film ab“ der edition kürbis erschienen. Ganz neu ist nur der Text „Onkel Jožas Motorrad“. Aus der Sammlung gelungener Texte ragt „Kafka im Lunapark. Cavazzoni-Variationen“ heraus. Ausgehend von Ermanno Cavazzonis „vite brevi di idioti“ („Kurze Lebensläufe der Idioten“, Wagenbach 1994). Hier ist ein längeres Textbeispiel notwendig, denn die Gedankengirlanden, welche Freitag durch die Kopfräume des Lesers spannt, sind, was sie sind und es ist unmöglich, in einer Umund Beschreibung ihre Qualität auch nur annähernd zu benennen: „Ein Malermeister trank Mitte Februar eine Büchse Lackverdünner und starb einen Tag später im Krankenhaus. Er hatte sich eingebildet, dass seine Frau, während er anderswo Wohnungen anstrich, zu Hause regelmäßig andere Männer empfing. Nachdem er Mitte März einen Liter Motoröl getrunken hatte, starb ein Mechanikermeister im Krankenhaus. Er hatte sich eingeredet, dass es seine Frau, während er Autos reparierte, in seiner Wohnung mit einem Malermeister trieb. Er wusste nicht, dass der Malermeister schon im Februar eine Büchse Lackverdünner getrunken hatte und im selben Krankenhaus gestorben war.
Ein Apotheker starb Mitte April in einem Krankenhaus, nachdem er einige Packungen eines starken Herzmedikaments und ein Röhrchen Schlaftabletten geschluckt hatte. Er glaubte, seine Frau unterhalte Beziehungen zu einem Malermeister und zum Besitzer einer Autowerkstatt, die sich abwechselnd mit ihr durch sein Ehebett wälzten, während er in der Apotheke stand und seine Kunden bediente …“
Der Band „Die Mosaike von Ravenna“ versammelt 11 geistreiche und gleichzeitig unterhaltsame Texte des 1952 geborenen, in Leoben lebenden Autors.
Bücherschau 03/2005, Mike Markart
Die Mosaike von Ravenna
Vom Leobener Autor Günther Freitag, der erst letztes Jahr den Roman „Flusswinter“ veröffentlicht hat, ist jetzt ein neues Buch erschienen. „Die Mosaike von Ravenna“ versammelt Prosaskizzen, Erzählungen und Essays, in deren Zentrum das Lesen und das Reisen stehen.
Texte aus 20 Jahren
Der größte Teil der Texte wurde schon einmal veröffentlicht: in den „manuskripten“, aber auch in der „edition kürbis“ oder der Schweizer Zeitschrift „du“. Ganz neu ist nur „Onkel Jozas Motorrad“, ein Text, der geprägt ist durch die Erinnerungen des Autors an seine slowenische Verwandtschaft und seine Lektüre slowenischer Literatur.
„Mein persönlichstes Buch“
„Das ist mit Bestimmtheit mein persönlichstes Buch, weil es auf meine eigenen Erfahrungen zurückgeht. Ausgangspunkt für die Texte waren meine Reisen, meine Lektüre oder die Bekanntschaft mit anderen Autoren“, sagt der Autor.
Altes Thema, neue Sprache
Der älteste Text des Bandes, „Diese kalte Nacht“, ist eine Neufassung von „13 Variationen über Hölderlin“, der 1984 in Günther Freitags erstem Erzählband „Kopfmusik“ erschienen ist.
Was veranlasst einen Autor, einen 20 Jahre alten Text völlig zu überarbeiten? „Das Thema interessiert mich noch immer, aber meine Sprache hat sich verändert, die alte Sprache kommt mir heute manieristisch vor“, sagt Freitag.
Sammeln und Schreiben
Günther Freitag ist ein Notizen-Sammler. Um sich hinzusetzen und aus dem Berg von Notizen einen Text zu machen, braucht er fast immer einen Anlass von außen, etwa eine neue politische Situation oder eine Reise.
Barbara Belic
Lügenfeuer
(1994)
„Bei der Vorstellung, ein Bekannter könnte ihn mit dem weißen Pudel der Hofrätin sehen, beschleunigte Robert seine Schritte. Der Pudel, erfreut über das erhöhte Tempo, hopst ein paar Zwischenschritte. Wie ein betrunkener Walzertänzer.“
Robert hätte Erzbischof werden sollen, hat es aber nur zum Betreuer des topmodisch coiffierten Pudels der Hofrätin gebracht. Ganz offensichtlich ist er ein Versager. Bösartig, grotesk und unterhaltsam ist dieser Blick auf die österreichische Mentalität.
Taschenbuch: 152 Seiten
Verlag: Droschl, M (1994)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3854203861
ISBN-13: 978-3854203865
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Rezensionen
„Lügenfeuer“ ist ein literarisches Capriccio bürgerlicher Lebenslügen und Günther Freitag ein musikalisch fühlender Satiriker, dem es gelingt, blasiertes Wehklagen auf Schmerz-Scherz-Assonanzen zu reduzieren.
Armin Stadler in den VORARLBERGER NACHRICHTEN über „Lügenfeuer“
Abland
(1991)
Georg Landauer ist Student der Musi und der Volkskunde. Alles in seinem Leben ist zum Stillstand gekommen: seine Arbeiten über „Krüppelfingerlings“ Kinderszenen und über Totengebräuche unter besonderer Berücksichtigung der Totenverstümmelungen ruhen, seine Kontakte zur Außenwelt sind reduziert auf Gespräche mit der Zimmerwirtin und Phantasien über seine attraktive Nachbarin. Über allem stehen bedrohlich VATERMUTTER, die sein Leben und seine Studienerfolge überwachen. Ein Landaufenthalt in Gai soll die letzte Rettung dieses bedrohliche eingeengten Lebens werden …
In drei Teilen entwickelt Günther Freitag sein burleskes Bild eines progressiven Wirklichkeitsverlusts: das Studierzimmer – die österreichischen Berge – die Großstadt. Kunst und Alltag, Anspruch und Realität, sind selten so bizarr aufeinandergeprallt, tragikomisch, lächerlich und auch beängstigend, wie in diesem Roman. Mit trockenem Witz, parodistischer Bravour und geschmacklosen Wahrheiten geht wieder einmal das kulturelle Abendland in Österreich unter.
Taschenbuch: 155 Seitens
Verlag: Droschl, M (1991)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3854202091
ISBN-13: 978-3854202097
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Rezensionen
Über Günther Freitags Roman „Abland“:
Die Suche nach dem fehlenden Rhythmus, ohne den jeder Schritt zur kräfteraubenden Anstrengung wird, bestimmt das Leben des Studenten Georg Landauer. Wie sein Gehen ist ihm auch das Schreiben zur Qual geworden. Seine Arbeiten aus der Musikwissenschaft und der Volkskunde sind ins Stocken geraten. In seinem Studentenzimmer von der Außenwelt isoliert, die Silberfische im Waschbecken als einzige Gesprächspartner, schwankend zwischen humoriger Klarsicht und schierer Verzweiflung, überläßt sich Landauer immer häufiger einer Phantasiewelt, welche die dumpf-gewalttätige, Anpassung, Ordnung und meßbaren Erfolg fordernde Gesellschaft in skurrilen Episoden nachäfft oder sich aus pubertären Wunschträumen nährt, die – spielerisch-selbstironisch verfeinert – sexuelle Erfüllung und Siege über die ihm vorgesetzten Autoritäten ausmalen. Über all der Tristesse banaler Alltäglichkeit und unerfüllter Begierden steht mildernd die Macht der Musik.
Dieser in seiner Bösartigkeit teuflisch unterhaltsame Roman ist einmal mehr ein Nachweis, daß das Leben, sobald es sich vom großen Pfad entfernt, nicht grundsätzlich ein Mangel sein muß, der sich an der Festschreibung der für diesen Zustand Schuldigen schadlos hält, sondern daß die Abweichung ein Potential an Durchblick und Lästerkraft freisetzt, das durchaus positiv verbucht werden kann.
Alfred Paul Schmidt im STANDARD über „Abland“
Dennoch ist Freitags Roman weit entfernt von jenem satirischen Blick auf die hiesigen Verhältnisse, der eine mitunter klischeehafte Wirklichkeit mit Mitteln zu entlarven versucht, die oft genug zu bloßen Gegen-Klischees verkommen. Die bestehenden Verhältnisse sind dem Autor ebenso suspekt wie bestimmte Muster der Kritik an ebendiesen. Und so hantiert Freitag gleichsam auf einer Metaebene mit verschiedenen Versatzstücken (auch der österreichischen Literatur), die er lustvoll durcheinanderwirft.
Satz für ein Klangauge
Der Ich-Erzähler, ein alternder Klavierlehrer, lebt in einer abbruchreifen Villa, die er als Privatkonservatorium zur Ausbildung von Pianisten führt. zunehmend gerät er in Isolation, an den Rand des Wahnsinns und verbarrikadiert sich gegen seine Umwelt. Er führt imaginäre Gespräche mit nicht vorhandenen Schülern, unterhält eine umfangreiche Korrespondenz mit dem Verwalter eines Musikinstrumentendepots und kämpft mit verbissenem Trotz gegen den Beschluss der Behörde, sein desolates haus abbrechen zu lassen. Als sein Widerstand nichts fruchtet, kommt er den Bestrebungen zuvor, indem er das Gebäude selbst in Brand steckt.
Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
ISBN-10: 370460061X
ISBN-13: 978-3704600615
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Rezensionen
Geträumte Tage
„Das gehörte für Karner zum Schlimmsten: im Lesesaal der Universitätsbibliothek zu sitzen und zu erkennen, wie die mit Büchern vollgestopften Regale sich die Wände hoch bis zur Glasskuppel türmten.“ Wie im Traum registriert Karner den Verlust jener Bindungen, für die er gelebt zu haben glaubt: die Frau, seine Studien, die Menschen im Café, die sich längst in die Verweigerung geflüchtet haben. Was bleibt, ist die Hoffnung, aus seiner Gebrochenheit in die Absicht zurückzufinden… Günther Freitag erzählt und erfindet, die Geschichte sperrt sich und wird gebrochen: Geträumte Tage, die Platz lassen, neue Zugänge schaffen, aufmerksam machen. Es ist etwas anzufangen mit der Wirklichkeit in den Zwischenräumen der Wahrheit.“
Bläschke Verlag
Kopfmusik
„Das Unwirkliche schreibend klären“, so betitelt Lucas Cejpek in der Grazer Neuen Zeit seine Besprechung der Prosatexte Günther Freitags. Das Unwirkliche ist in ihnen das Alltägliche, das nur eine unfassbare Realität hervorzubringen vermag. Das Scheitern des Menschen an selbstgewählten Aufgaben -dargestellt in einer musikalisch strukturierten Sprache- erscheint als Gerücht., so ungeheuerlich, dass man doch wieder daran glauben muss. Oder, wie Manfred Mixner sagte, sollte man bei der Lektüre vor lauter Aufmerksamkeit und Genauigkeit dahin kommen, dass man nicht mehr die Wirklichkeit versteht, sondern als Zeitgenosse von den Dingen verstanden wird.“
Bläschke Verlag